27.02.2013

"NZZ am Sonntag"

Heitere Passionsgeschichten von Christoph Zürcher

"Karl May der Gegenwart" veröffentlicht seine Abenteuer als Buch.
"NZZ am Sonntag": Heitere Passionsgeschichten von Christoph Zürcher

Eine Buchkritik von persoenlich.com-Redaktor Benedict Neff.

Christoph Zürchers Geschichten wären unerträglich, würde der NZZ-Journalist und Ressortleiter des Gesellschaftsbundes seine Aufschneiderei und die masslose Inszenierung der Gefahr in seinen Reportagen nicht dauernd brechen. Mit einer Haltung, die ihn dem Leser gewogen, ja gar sympathisch macht. Es ist sein Dillentantismus oder dessen Inszenierung. "Ich organisiere meine Reisen nicht übermässig gründlich und lasse mich auf jeden Löli ein, der meinen Weg kreuzt", sagte er gegenüber persoenlich.com in einem Interview. Schliesslich sei es egal, ob dabei etwas Schlaues herauskomme, Hauptsache der Leser erfahre etwas Neues. Eine Geschichte von Zürcher braucht lediglich vier Ingredienzen: Ich, Blödsinn, gefährlich, Überleben. Sein Werk heisst denn auch: "Wie ich Kannibalen, die Taliban und die stärksten Frauen der Welt überlebte". Der Buchumschlag mahnt stark an die Kartonschachtel eines Nintendo-Spiels der 90er Jahre – gemessen am Inhalt, ein klares Understatement - und doch auch wieder passend!

Für den Leser reicht es nur zum Vorteil, dass der Erzähler von Tuten und Blasen keine Ahnung hat, wenn er Bin Laden in Pakistan sucht, Ferien bei Kannibalen macht oder einen Ultra-Marathon in Brasilien absolviert. Die absurden Ausflugsziele, wie etwa ein Spaziergang durch Mexiko City, eröffnen von allem Anfang an Probleme und Gefahr (Roberto Bolanos "2066" lässt grüssen). Weil sich Zürcher aber auch besonders unvernünftig anstellt, wird alles noch prekärer. Wir begegnen keinem Helden, aber auch keinem Lebensmüden. Wir begegnen einer Figur, die bereit ist, etwas Besonderes zu erleben, ohne sich besonders vorzubereiten. Um zu unterhalten. Der Protagonist macht sich nicht auf, um Drachen zu töten. Er setzt sich lediglich dem Drachen aus und schaut, was dabei passiert. Einen besonders gleichmütigen Eindruck macht er dabei nicht. Probleme sind Programm.

Im Zeichen dieser Opferbereitschaft entstehen Zürchers heitere Passionsgeschichten. Fern ist der journalistische Büromief, nah ist das sogenannt volle Leben. Ein Leben jedoch, das zugegeben, auch wieder unwirklich und fern wirkt, nicht zuletzt, weil zuweilen ein bisschen gar dick aufgetragen wird. Auf dem Umschlag des Buches mit seinen gesammelten und erweiterten Reportagen aus der "NZZ am Sonntag" wird Zürcher denn auch als "Don Quijote der Moderne" und neuer Karl May angepriesen. Wer mit den beiden Gesellen der Weltliteratur nichts anfangen kann, soll sich von der Lektüre nicht abschrecken lassen. Es ist so, wie ein Leser treffend sagt, er ist ein "Karl May der Gegenwart" - "jedoch authentischer, humorvoller und packender."

Die Geschichten sind in verschiedene Kategorien geteilt, deren Überschriften sehr schön das Basale des menschlichen Dramas bezeichnen: "Angst und Schrecken", "Sünden und Laster", "Irrungen und Wirrungen", "Blut, Schweiss und Tränen". Genau das möchte man erfahren und lesen und man ist froh, nicht alles selber erleben zu müssen und die grössten Schnapsideen getrost Zürcher überlassen zu können.
Einzig, wo bleibt in diesem dramatischen Reigen die Liebe? Sie hat nun mal keinen Platz. Der Abenteurer ist ein einsamer Wolf, verbündet sich nur kurz, für eine Dose Bier, einen Schluck Whiskey mit anderen Wagemutigen, die genau wie er von Abenteuer zu Abenteuer stolpern. Sie heissen Mark, Marti Fruchtmann, Lynn, Dan, Melissa und Jeff. Was wären die Geschichten ohne sie, die als temporäre Gefährten mit ihm sch(wanken). "Je desolater der Ort, desto schneller lernt man auch Leute kennen", sagt Zürcher im Interview. Diese Leute sind noch wahnsinniger als der Erzähler selbst, weil sie da leben, wo sich der Erzähler nur ausnahmsweise und besuchsweise aufhält. Oder weil sie sich auf die gleichen Abenteuer wie er begeben, allerdings ohne erkennbare Verwertungsvorsätze – Abenteurer des Abenteuers willen. Ganz anders Zürcher, der angeblich lieber ins Engadin wandern geht, Strapazen und Angst nur für eine gute Geschichte auf sich nimmt.

Zwar gibt es die Liebe nicht, aber ständig lockt das weibliche Geschlecht: Mal sind es schwedische Medizinstudentinnen im Himalaya, äthiopische Schönheiten in Djibouti oder eine hinreissende Mexikanerin namens Angelica Cavillo, deren Augen "wie die Millionen-Kombination an einem Spielautomaten leuchteten". Im Normalfall scheitert der Abenteurer an der Frauenfront gnadenlos, zuweilen lässt er das Schicksal aber auch im Ungefähren. Anstatt gemäss seinem erklärten Ziel in Djibouti Piraten zu suchen, hängt er unter den lebhaften Eindrücken von Kat, der lokalen Droge, zwei Tage in einem Puff herum. Selbst der unschuldigste Leser wird denken, da war was! Zürcher winkt ab: "Ich suggeriere etwas, das natürlich nicht stattgefunden hat." Es gehe ihm darum, Denkvorschriften herauszufordern. Gelegentlich proben deshalb Feministinnen auf der Redaktion den Aufstand. Der Chauvinismus gehört zu diesen Reportagen so integral dazu, wie Gefahr, Aufschneiderei und Selbstironie. Zürcher wagt auf prekäre Regionen dieser Welt einen anderen und sehr subjektiven Blick. In journalistischer Hinsicht sind die Geschichten befreiend unorthodox, die Ziele so hoch gesteckt, dass es meistens die Geschichten eines Scheiterns sind.

Die Sätze kommen locker daher. Der Leser wird bei der Lektüre nicht plötzlich grübelnd in Sprachreflexionen verfallen, sondern artig dem Faden der Erzählung folgen und gelegentlich über Sensationalismus und Hochstapeleien des Erzählers schmunzeln.  So sollen "wahre" Abenteuergeschichten sein.

Sein Verlag Orell Füssli kategorisiert das Werk als "Reiseführer", gerade dazu scheint das Buch aber nicht recht zu taugen. Wer hat schon Lust auf Ferien bei Kannibalen oder Riesenechsen.

Ob Zürcher tatsächlich all das erlebt hat, was er beschreibt? Der "Karl May der Gegenwart" behauptet, alles sei wahr und Erfinden angesichts seiner haarsträubenden Erlebnisse gar nicht nötig. Wobei er einräumt, dass man zwei Dinge bis zum Gehtnichmehr praktizieren dürfe: Vereinfachen und Übertreiben. Die Frage nach der Wahrheit und die journalistische Einordnung seiner Texte ist aber letztlich egal. Ob er sich in Indonesien tatsächlich dem Mundgeruch von Riesenechsen ausgesetzt, Ferien bei Kannibalen gemacht hat oder an der Mühlebachstrasse, die Beine hochgelagert, einer attraktiven Praktikantin seine abenteuerlichen Geschichten - aus dem Kopf - diktiert… es ist letztlich egal. Seine Geschichten sind beste Unterhaltung! Der Untertitel seines Buches lautet "Die letzten wahren Abenteuer". Hoffen wir, dass es noch nicht die letzten sind!

 

 


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