Gilles Marchand, Sie leiten die neue Initiative Medien und Philanthropie (IMP) der Universität Genf, die am Mittwoch mit einer Konferenz offiziell lanciert wurde. Was steht als erstes auf Ihrer To-do-Liste?
Meine erste Aufgabe ist Aufklärungsarbeit. Was wird diese Initiative sein in der Medienlandschaft. Es geht auch darum, das Projekt bei den betroffenen Akteuren zu positionieren. Zur Konferenz haben sich 250 Personen angemeldet. Es zeigt, dass ein riesiges Interesse da ist. Wir werden einen Plan auf drei Jahre erstellen.
Da die Initiative im akademischen Umfeld angesiedelt ist, werden Sie auch unterrichten?
Wenn es eine Nachfrage gibt, werde ich es gerne tun. Ich habe sogar bereits einen Kurs in der Politikwissenschaft gegeben.
Um was ging es im Kurs?
Ich habe eine Übersicht über die Entwicklung der Medien in den letzten 25 Jahren gegeben. Es ging um das Vertrauen in die Medien, die Finanzierung, die Revolution um KI. Aber der Unterricht ist nicht mein Hauptfokus bei der Initiative.
Und der wäre?
Der Fokus ist für mich, die Forschung über die Finanzierungsfragen zu entwickeln. Andererseits werde ich mich auf Fragen der Legitimität konzentrieren. Einerseits die Legitimität des philanthropischen Engagements durch die Klarheit der Absichten der Unternehmensführung. Und andererseits die Legitimität der unterstützten Medien durch ihre Fähigkeit, Public Value zu liefern. Wir werden Akademiker und Berufsleute einstellen. Eine der Besonderheiten des Projekts ist, dass wir interdisziplinär arbeiten.
Welche sind die betroffenen Akteure im philanthropischen Modell?
Es sind vier betroffene Kreise. Zuerst der professionelle Kreis, also die Medien, die nach Finanzierungslösungen suchen. Der zweite ist der akademische Kreis, weil wir unter dem Begriff «Common Good» arbeiten werden. Das philanthropische Engagement ist nur legitim, wenn es einen öffentlichen Wert hat. Drittens sind es die öffentlichen Akteure, also die Politiker, die nach Modalitäten suchen, um die Medien zu unterstützen. Und der vierte Kreis ist der philanthropische Kreis selbst.
«Wir werden Lösungen, Methoden und Instrumente anbieten und zeigen, was in anderen Regionen der Welt gemacht wird»
Wer ist damit gemeint?
Dazu gehören die Stiftungen, aber nicht nur. Es sind auch Unternehmen, die Programme für soziale Verantwortung entwickeln und in Rahmenbedingungen investieren wollen. Drittens ist es die öffentliche Hand wie Städte und Kantone, die die mediale Vielfalt unterstützen möchten. Und zuletzt sind das die Individuen, also die Menschen, die mit kleinen Summen addiert viel erreichen können.
Und was haben sie zu gewinnen?
Jeder Kreis hat seine Interessen. Wenn man zum Beispiel eine Stadt führt und Medien unterstützen möchte, möchte man wissen, wie man vorgehen kann. Philanthropen sind an einer Methodologie interessiert. Wie baut man eine Good Governance mit einem Medium auf, das man unterstützt? Wir werden Lösungen, Methoden und Instrumente anbieten und zeigen, was in anderen Regionen der Welt gemacht wird.
«Die Situation ist wirklich sehr schwierig, und zwar sowohl für die privaten Medien als auch für die öffentlichen. Das ist das erste Mal, dass es für beide gleichzeitig schwierig ist.»
Die Initiative richtet sich nicht nur an Schweizer Akteure?
Nicht im Geringsten. Das Projekt ist von Anfang an mit der Hochschule HEC Montréal entstanden. Diese hat einen Medienbereich, der von Sylvain Lafrance geleitet wird, mit dem ich die Arbeit der IMP entwickle. Unsere Idee ist es, das «Savoir-faire» in Bezug auf Medieninvestitionen zu sammeln und eine Art Gebrauchsanweisung, eine Charta zu schreiben, die die Beziehungen zwischen dem Gebenden und dem Nehmenden klären soll.
Die Medienkrise verschärft sich zwar, ist aber nicht neu. Warum kommt die IMP jetzt?
Die Situation ist wirklich sehr schwierig, und zwar sowohl für die privaten Medien als auch für die öffentlichen. Das ist das erste Mal, dass es für beide gleichzeitig schwierig ist. Und nicht nur in der Schweiz. Auch in Europa und auf der ganzen Welt. Was gerade in den USA geschieht, verstärkt das Problem noch. Wir müssen diese alternative Finanzierung durch Philanthropie, Unternehmen und öffentliche Hand begleiten, um ihre Entwicklung zu vereinfachen.
Warum kommt die Initiative aus dem akademischen Bereich?
Der akademische Bereich besitzt nicht das Monopol der Reflexion. Aber im Grunde finde ich es sehr wichtig, dass die Universitäten sich zu Gesellschaftsthemen äussern. Die Wissenschaft muss Lösungen bringen. Die Universität Genf beherbergt seit mehreren Jahren das Zentrum für Philanthropie. Als ich vorgeschlagen habe, einen Bereich über die Medien zu entwickeln, hat das sofort Resonanz gefunden.
Wie werden Sie die Reflexionen der Initiative vermitteln?
Durch klassische wissenschaftliche Publikationen. Die Modelle und Dokumentation werden den betroffenen Kreisen zur Verfügung gestellt. Und wenn eine Stiftung zum Beispiel eine zusätzliche Expertise braucht im Hinblick auf eine Investition, werden wir zur Verfügung stehen, wie eine Universität es sein muss.
«Es gibt immer mehr Interessenblasen, in denen das Publikumsmedium immer weniger Platz hat»
Das klassische Geschäftsmodell der Medien hat lange auf einer Mischung von Werbeeinnahmen und Abos basiert. Vor ein paar Jahren hat TX Group im Zuge der Digitalisierung das Geschäft mit den Anzeigen vom Bereich Journalismus getrennt und erlaubt keine Quersubventionierung. Ist das gerechtfertigt?
Wenn eine Firma ihre Ergebnisse nicht konsolidieren will, gehört das zu ihrer unternehmerischen Freiheit. Aber wenn ein Medium nach einer philanthropischen Unterstützung sucht, gehört es zu den Kriterien, wie das Unternehmen mit ihrem Gewinn umgeht. Ich bin nicht da, um Philanthropen zu sagen, wo sie investieren sollen oder nicht, aber wir werden ihnen zur Verfügung stehen, um ihnen zu helfen, den Prozess so gut wie möglich zu bewältigen.
Wenn ich Sie richtig verstehe, ist die Diskussion, ähnlich wie bei der politischen Unterstützung, die im Falle von TX Group kontrovers ist, weil das Unternehmen den Journalismus intern unterstützen könnte.
Es gibt schon einen Unterschied zwischen dem philanthropischen Engagement und dem Engagement des Staates. Die Debatte über die indirekte Presseförderung ist eine politische. Bei der Philanthropie ist die Dynamik anders. Es geht um einen Akteur, der eine mediale Aktivität unterstützen möchte, weil dies seinen Werten entspricht.
Oft wird den Gratiszeitungen die Schuld gegeben, dass das klassische Geschäftsmodell der Medien nicht mehr funktioniert. Sie hätten uns daran gewöhnt, dass Information nichts kostet. Was halten Sie von dieser Theorie?
Ich denke, es hat mehrere Faktoren. Zuerst die dramatische Erosion der Werbeeinnahmen, die auf digitale Plattformen verlagert wurden, und dabei auch an Wert verloren haben, und noch dazu auf internationale Plattformen, die nicht in den nationalen Markt investieren. Zweitens sind es die neuen Technologien, die Inhalte à la carte anbieten. Es gibt immer mehr Interessenblasen, in denen das Publikumsmedium immer weniger Platz hat. Drittes Element: Ja, es gibt eine Entwertung. Informationen werden heute als überall kostenlos zugänglich angesehen. Daran sind die Gratiszeitungen nicht alleine schuld. Digitalplattformen bieten heute eine Flut von Inhalten kostenlos an. Und letztlich gibt es auch eine Vertrauenskrise zwischen Medien und Publikum. Man kann sich kaum eine schwierigere Situation vorstellen als diejenige der Medien heute. Deshalb probiere ich, bescheiden zu handeln, um einen dritten Finanzierungsweg zu begünstigen.
«So wie er mit der Washington Post umgeht, versucht er eher die Interessen von Amazon zu verteidigen»
Sie haben letztes Jahr die SRG verlassen, als der Druck auf die Finanzierung maximal wurde. Wollten Sie nicht da handeln?
Zuerst, als ich bei der SRG angefangen habe, war der Druck auch sehr hoch. Mit der «No Billag»-Initiative ging es um die Existenz selbst der SRG. Ich habe aber jetzt die SRG verlassen, genau weil man den Kampf vorbereiten muss. Mein Mandat wäre 2026 zu Ende gegangen, also im Jahr der Abstimmung zur Halbierungsinitiative. Genau dann den Generaldirektor zu wechseln wäre ein Albtraumszenario. Und nach der Abstimmung wird die Konzession neu verhandelt. Erst dann zu gehen, wäre für meine Nachfolgerin unfair gewesen.
Amazon-Gründer Jeff Bezos hat 2013 die Washington Post gekauft. Es ging damals darum, der Zeitung die besten Voraussetzungen zu geben, um sich den Entwicklungen der Branche anzupassen. Ist Jeff Bezos ein Philanthrop?
Ich denke, seine Philanthropie ist eigennützig. So wie er mit der Washington Post umgeht, versucht er eher die Interessen von Amazon zu verteidigen. Deshalb ist das Prinzip von «Common Good» so wichtig. Es gibt einen Unterschied zur Philanthropie, die für das Gemeinwohl agiert.
Heute gibt Jeff Bezos direkte Anweisungen an die Redaktion. Selbst wenn die philanthropische Finanzierung für das Gemeinwohl handelt, wie kann die Unabhängigkeit der Medien garantiert werden?
Das ist ganz und gar eine Frage der Governance. Was sind die Spielregeln? Welches sind die Modalitäten der Beziehung? Genau deshalb arbeite ich an der Charta. Diese wird nicht nur eine Serie von Werkzeugen und Hebeln, um Geld zu finden. Sie wird auch die gute Praxis in Sachen Governance definieren.
Können Sie Beispiele von Leitplanken geben, die die Unabhängigkeit garantieren?
Als Erstes muss die Absicht der Verpflichtung veröffentlicht werden. Dann muss die gute Governance zwischen dem, der hilft, und dem, dem geholfen wird, geklärt werden. Es muss ein Reporting organisiert werden. Wie bei den Konzessionen kann man sehr genau bestimmen, welche Hebel eingeführt werden, zum Beispiel, um mit Kritik umzugehen. Mit Schlichtungs- und Beschwerdemechanismen zum Beispiel.
Gibt es in der Schweiz ein philanthropisches Potenzial, das nicht genutzt wird, weil die Begleitung und die Tools fehlen?
Die Schweiz ist ein grosses philanthropisches Zentrum, sei es in Genf, Zürich oder Basel. Aber es gibt auch die Städte und Kantone. Ich bin ständig mit Kantonen in Kontakt, die gerne etwas für die Medienvielfalt machen möchten, wissen aber nicht wie. Der Genfer Kantonsrat zum Beispiel überlegt sich, ein Rahmengesetz zu machen, fragt sich aber, was dazu gehört, was man mit den öffentlichen und den privaten Medien macht.
«Ich schliesse die konzessionierten Medien aus dem philanthropischen Feld aus»
Bleiben wir in Genf. Für Tamedia gehört die Tribune de Genève nicht zu den Zukunftsmarken. Was kann für den Titel gemacht werden?
Der Kantonsrat überlegt sich die Gründung eines Medienfonds. Falls die Idee angenommen wird, wird sich der Kanton fragen müssen, wie er diesen Fonds genau einsetzen will. Für Rahmenbedingungen oder für eine bestimmte Zeitung? Da stehe ich den Behörden zur Verfügung, falls sie mit uns diskutieren wollen oder Beispiele brauchen von Regionen, die solche Projekte erfolgreich umgesetzt haben.
Wie schon erwähnt, stehen auch die Medien des Service public unter Druck. Ist das philanthropische Modell auch für sie eine Option?
Nein. Ich schliesse die konzessionierten Medien aus diesem Feld aus. Philanthropie kann den Staat im Service public nicht ersetzen. Hingegen wäre ein öffentlich-privates Projekt denkbar, zum Beispiel für die Entwicklung einer Faktencheck-Plattform. Mein Ziel ist aber, Ressourcen zu generieren für Medien, die keine Basisfinanzierung wie aus der öffentlichen Hand haben und in kritischen Situationen sind.
Neben der IMP sind Sie gerade zum Präsidenten des Internationalen Alpenfilmfestivals von Les Diablerets (VD) ernannt worden. Haben Sie noch andere Projekte?
Die Stelle an der Uni Genf entspricht einem Pensum von 50 Prozent. Ich bin auch im Vorstand des Locarno Filmfestivals. Abgesehen davon, dass ich in der Region von Les Diablerets lebe, liegt mir das Thema nachhaltige Entwicklung der Bergregionen am Herzen. Ich werde versuchen, das Festival in diesem Sinne zu entwickeln. Ich berate auch öffentliche Unternehmen und Institutionen in Europa, die mit der politischen Infragestellung ihrer Aktivitäten konfrontiert sind.
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