Vor einer Woche hat Tamedia einen radikalen Ab- und Umbau des Unternehmens kommuniziert. Zwei von drei Druckereien werden geschlossen, die Vermarktung kommt nach einem Umweg über Goldbach wieder ins eigene Haus und im digitalen Journalismus konzentriert sich die Führung auf den Tages-Anzeiger, die Berner Zeitung, die Basler Zeitung und 24 heures in der Westschweiz. 290 Vollzeitstellen werden infolge dieser Entscheide abgebaut (persoenlich.com berichtete).
Die Reaktionen auf diese neue Strategie von Geschäftsführung und Verwaltungsrat hat in den letzten Tagen heftige Kritik ausgelöst (persoenlich.com berichtete). Vor allem in der Westschweiz war der Aufschrei gross. Für Empörung sorgt hauptsächlich der Fakt, dass das Mutterhaus TX Group gleichentags einen Gewinn von 24,5 Millionen Franken für das vergangene Halbjahr ausweisen konnte. In der Vorjahresperiode waren es mit 13,7 Millionen Franken deutlich weniger (persoenlich.com berichtete).
Nebst der Berichterstattung über die neue Strategie und den Umbau haben verschiedene kleinere Medien den Abbau für Werbung in eigener Sache genutzt. So die Wochenzeitung (WOZ), die kurz nach der Medienkonferenz bei Tamedia mit einem Werbesujet auf Abofang gegangen ist. Auf gelbem Hintergrund war darauf zu lesen: «60’000’000 Franken Gewinn, 290 Stellen gestrichen, 0 Skrupel, 1 WOZ-Abo – Wenn unsere Konkurrenz in diesem Tempo weiterspart, lesen bald alle die WOZ.».
«Das Sujet ist am Dienstag nach der Ankündigung von Tamedia spontan auf der WOZ entstanden», sagt Dinu Gautier, der bei der Wochenzeitung für das digitale Marketing zuständig ist. Es drücke die Empörung darüber aus, dass der TX-Konzern in bester Salamitaktik den Journalismus ausblute. Ausgespielt wurde das Sujet auf allen Social-Media-Kanälen der WOZ, als Eigeninserat in der Zeitung und als Abobanner auf woz.ch.
«Damit uns der Atem nicht ausgeht»
Das Tamedia-Momentum genutzt haben auch das Onlinemagazin Republik sowie das Berner Regionalportal Hauptstadt, und zwar mit einem Newsletter in eigener Sache. Mit dem Hauptziel, den «ständigen Effizienz- und Rationalisierungsprogrammen bei den Grossverlagen Tamedia, NZZ, Ringier und CH Media etwas entgegenzusetzen», sei die Republik vor bald sieben Jahren gegründet worden, schreibt Bundeshausredaktor und Medienjournalist Dennis Bühler. Zwei Sätze später: «Damit uns der Atem nicht ausgeht, sind wir auf Ihre Unterstützung angewiesen. Denn die wirtschaftlichen Herausforderungen, auf die Tamedia nun mit einem radikalen Sparprogramm reagiert, sind auch uns nicht unbekannt.» Mit dem Ziel, neue Abonnentinnen und Abonnenten zu gewinnen, verschickt die Republik in regelmässigen Abständen ähnliche Mailings, geschrieben von hauseigenen Journalistinnen und Journalisten. Aktuell zählt das Onlinemagazin laut eigenen Angaben fast 27’000 Mitgliedschaften und Abos.
Mit knapp 3000 zahlenden Abonnentinnen und Abonnenten ist diese Zahl beim Berner Onlinemedium Hauptstadt ein Vielfaches tiefer. Das Portal wurde im Herbst 2021 als Reaktion auf die damalige Fusion der Tamedia-Titel Bund und Berner Zeitung gegründet (persoenlich.com berichtete). Aber die Zeilen im von der Redaktions- und Geschäftsführung gezeichneten Newsletter vom vergangenen Dienstag lesen sich ähnlich wie jene der Republik. «Uns ist es ein Anliegen, am Fall von Tamedia in aller Klarheit aufzuzeigen, dass die Finanzierungskrise in der Medienbranche gnadenlos ist. Und dass sie auch den Lokaljournalismus in Bern immer stärker unter Druck setzt und in Frage stellt.» Wenn die Abbaumassnahmen bei Tamedia eines verdeutlichen würden, steht etwas weiter unten geschrieben, dann, dass Lokaljournalismus in Bern Menschen brauche, die bereit seien, dafür zu zahlen. Dann folgt das, was man im Marketingsprech Call-to-Action nennt – «Löse hier dein Hauptstadt-Abo».
Auch in der Westschweiz gibt es ähnliche Reaktionen: Das Storytelling- und Beratungsunternehmen Pulsar Media hat die aktuelle Aufmerksamkeit rund um Journalismus genutzt, um ein neues Medium zu lancieren. «In diesen dunklen Zeiten für die Presse ist es wichtiger denn je, ein dynamisches journalistisches Umfeld aufrechtzuerhalten, in dem Vielfalt und Unabhängigkeit weiterhin Priorität haben», sagte Gründer Sherif Mamdouh. Aufgrund der jüngsten Ankündigungen im Pressesektor «haben wir beschlossen, den Start der Website vorzuziehen, um sofort auf den dringenden Bedarf an Informationen und internationalem Dialog zu reagieren», fügte er hinzu. Beim neu lancierten Onlineportal Tribune des Nations schreibt Alain Jourdan, ehemaliger Uno-Korrespondent der Tribune de Genève (persoenlich.com berichtete).
45 neue Hauptstadt-Abos in einer Woche
Was haben diese spontan lancierten Aktionen dieser Medien – nebst der Sensibilisierung für die Medienfinanzierungskrise – gebracht? Die WOZ hat dank dem Tamedia-Sujet bisher etwa zwei Dutzend neue Jahresabonnentinnen und -abonnenten gewonnen, wie es auf Anfrage heisst. Die Hauptstadt zählte letzte Woche 45 neue Abos – deutlich mehr als in den Vorwochen. Bei der Republik ist auf Anfrage keine konkrete Zahl zu erfahren. «Wie viele neue Abschlüsse sich konkret auf das Mailing zurückführen lassen, ist immer schwer zu beurteilen, aber unsere Verkäufe waren am Tag des Versands deutlich höher als normalerweise», teilt Geschäftsführerin Katharina Hemmer auf Anfrage mit. Die Republik sei so diesen August, der normalerweise einer der «langsameren» Sommermonate sei, tatsächlich leicht gewachsen. Hemmer fügt an: «Wenigstens ein positiver Effekt der ganzen Geschichte.»