An ihrem ersten Tag als Generaldirektorin kündigte Susanne Wille eine Transformation der SRG an, wie es sie in der Geschichte des Unternehmens noch nie gegeben habe. Mitten in der Transformation steht derweil der frühere Wirkungsbereich Willes. Vor ihrer Wahl an die SRG-Spitze war sie Kulturchefin von Schweizer Radio und Fernsehen SRF in Basel. Interimistisch führt nun SRF-Direktorin Nathalie Wappler die Abteilung (persoenlich.com berichtete). Unter ihrer Verantwortung findet derzeit eine «Angebotsfokussierung» im Bereich «Gesellschaft & Kultur» statt.
«Beim Publikum eine möglichst hohe Wirkung erzeugen»
Die «Angebotsfokussierung» sei ein Prozess, mit dem «in allen Abteilungen und Bereichen regelmässig punktuelle Anpassungen in der Organisation und im Angebot vorgenommen» würden, erklärt die SRF-Medienstelle auf Anfrage. Dabei gehe es stets darum, die Ressourcen für Angebote einzusetzen, «die beim Publikum eine möglichst hohe Wirkung erzeugen». Was wenig Wirkung erzeugt, wird abgeschafft. Andere werden weiterentwickelt und neu positioniert. Bereits beliebte Sendungen werden weiter gestärkt.
Am 29. Oktober informierten die Verantwortlichen über die Konsequenz der «Angebotsfokussierung». persoenlich.com liegt die dort gezeigte Präsentation vor. Auf Anfrage bestätigt SRF das Vorgehen. «In Bezug auf den Themenbereich ‹Gesellschaft & Kultur› sind die entsprechenden Entscheide gefällt worden. Deren Umsetzung wird aktuell ausgearbeitet», schreibt die Medienstelle auf Anfrage. Es sei das Ziel, «wirkungsschwache Angebote zu identifizieren und zu evaluieren, ob deren Themen auf andere Weise gezielter ans Publikum gebracht werden können.» Freigewordene Mittel würden für neue und bestehende Angebote verwendet, wobei die Ressourcen pro Themenbereich insgesamt gleich blieben, erklärt SRF weiter.
Als wirkungsschwach identifiziert wurden die Audioformate «Kontext», «Künste im Gespräch» und «Kultur-Talk». Sie verschwinden aus dem Angebot von SRF. Ihre Themen sollen künftig in einem täglichen Kultur-Talk vorkommen.
Abbau anspruchsvoller Kulturpublizistik
Die Einstellung von «Kontext» markiert eine Zäsur, wobei der Anfang vom Ende schon drei Jahre zurückliegt. Damals wurde die frühere Flaggschiffsendung von Radio DRS 2 (später SRF 2 Kultur) auf einen Podcast eingedampft. Der Verzicht auf «Kontext» bedeutet vor allem einen Abbau anspruchsvoller Kulturpublizistik, die auf journalistischer Recherche und der handwerklichen Aufbereitung als gestaltete Beiträge mit O-Tönen, Gesprächen und Reflexion basierte. Entsprechend konsterniert und irritiert reagierte die Belegschaft auf den Entscheid.
«Mit einer schnell gestrickten Talksendung können wir uns in der Medienlandschaft nicht profilieren», steht in einem Protestbrief an SRF-Direktorin Nathalie Wappler in ihrer Rolle als Interim-Kulturchefin. Das von 50 Redaktorinnen und Redaktoren unterzeichnete Schreiben liegt persoenlich.com vor. Darin wirft das Personal auch die Frage auf, warum SRF nicht stärker in den «Kontext»-Podcast investiert hatte, nachdem dieser 2021 gezielt für ein Publikum unter 40 lanciert wurde.
Besser ergeht es derweil dem «Kulturplatz», quasi das Pendant zum abgeschafften «Kontext». Die Fernsehsendung erhält einen «Entwicklungsauftrag» und soll so zu einem «Digital First»-Angebot weiterentwickelt werden. Ein Vorgehen, den sich die «Kontext»-Macherinnen- und Macher auch gewünscht hätten. In ihrem Schreiben fordern sie, ein Format entwickeln zu können, das auch weiterhin von der Vielfalt journalistischer Formen lebt. «Nur so können wir uns in der Medienlandschaft von der Masse abheben und die Gebühren rechtfertigen, die unsere Arbeit ermöglichen», schreiben die Kulturjournalistinnen und -journalisten.
«Eines der erfolgreichsten Angebote von SRF»
Als grosse Gewinnerin aus der internen Mittelumschichtung geht Mona Vetsch hervor. Ihre Sendungen «Mona mittendrin» und «Auf und davon» – beide sind Teil des Kulturangebots – will SRF aufwerten und ihnen noch mehr Sichtbarkeit verschaffen. So sollen künftig vier der neun jährlichen «Mona mittendrin»-Sendungen in einer ausgebauten 50-Minuten-Version am Donnerstagabend im SRF-Fernsehprogramm zu sehen sein. «Eines der erfolgreichsten Angebote von SRF erhält das passende Schaufenster, wo es sein ganzes Potenzial entfalten kann», schreiben die Verantwortlichen dazu. Diese Stärkung erfolgt gemäss dem Gebot, das Kulturangebot von SRF konsequent aufs Streaming auszurichten und dabei auf Persönlichkeiten zu setzen, die beim Publikum beliebt sind – was auf Mona Vetsch zweifelsohne zutrifft. Die Mona-Mania entspricht auch der SRF-Dachmarkenstrategie mit einem «konsequenten Fokus auf starke Marken».
Neben der Streichung und Stärkung bestehender Angebote schafft SRF Kultur auch neue Formate. So soll zum Thema True Crime ein «trimediales Leuchtturmprojekt» entstehen, mit hochwertigen Video- und Audioangeboten für ein breites Publikum. Davon erhofft sich SRF, eine Zielgruppe zu «erreichen, die für ein öffentliches Medienhaus wichtig ist und bisher unterversorgt blieb: U40, weiblich, mit Berufsbildung.» Auch hier setzt SRF auf Personality: «Ein kompetenter und sympathischer Host soll dem neuen Angebot Sichtbarkeit nach aussen verleihen», schreiben die Verantwortlichen.
Mehr Präsenz in den reichweitenstarken Kanälen
Insgesamt soll die «Angebotsfokussierung» den Kulturthemen im SRF-Angebot mehr Sichtbarkeit verschaffen, etwa indem deren Präsenz in den reichweitenstarken Kanälen und Plattformen gestärkt wird. Diesen Anspruch in der Praxis nachzuleben, erweist sich in der Praxis komplizierter als gedacht, wie eine Episode zeigt. In letzter Zeit versuchten vermehrt Kultur-Redaktorinnen und -Redaktoren ihre Themen in den Informationssendungen von Radio SRF unterzubringen. Doch dort lehnte man dankend ab. Aufgrund des Spardrucks kann es sich die Information nicht leisten, Beiträge aus anderen Abteilungen einzukaufen.
Die nun beschlossenen Anpassungen werfen die Frage auf, ob SRF den in der Konzession festgeschriebenen Kulturauftrag weiterhin angemessen erfüllen kann. Auch wenn es für eine Beurteilung zu früh ist, solange nicht alle Massnahmen umgesetzt sind, zeigen sich zumindest heikle Tendenzen. «Mona mittendrin» und «Auf und davon», die als neue Kultur-Flaggschiffe positioniert werden, unterscheiden sich formal und inhaltlich nicht wesentlich von «SRF bi de Lüt». Diese Sendereihe kommt allerdings aus der Abteilung Unterhaltung. Eine Annäherung der Kultur an die Unterhaltung im Zeichen der Reichweiten- und Wirkungssteigerung trägt nicht unbedingt zur Schärfung des Profils bei. Das vom Abbau der klassischen Kulturformate betroffene Personal formuliert es drastischer: «Wer nur auf Reichweite und Klicks schielt, wird einen populistischen Kulturbegriff vertreten, Kulturinteressierte verärgern und den Auftrag der Fokussierung verfehlen.»
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