20.11.2024

SRF

Kultur ohne «Kontext», dafür mit mehr Mona

Das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) stellt sein Kulturangebot neu auf. Für Reichweite sorgen sollen künftig Mona Vetsch und «Streamable Content». Im Gegenzug streicht SRF das traditionsreiche Audioformat «Kontext». Das sorgt intern für Irritation und Kritik.
SRF: Kultur ohne «Kontext», dafür mit mehr Mona
SRF investiert in die Sendungen «Mona mittendrin» und «Auf und davon» mit Moderatorin Mona Vetsch. (Bild: SRF)

An ihrem ersten Tag als Generaldirektorin kündigte Susanne Wille eine Transformation der SRG an, wie es sie in der Geschichte des Unternehmens noch nie gegeben habe. Mitten in der Transformation steht derweil der frühere Wirkungsbereich Willes. Vor ihrer Wahl an die SRG-Spitze war sie Kulturchefin von Schweizer Radio und Fernsehen SRF in Basel. Interimistisch führt nun SRF-Direktorin Nathalie Wappler die Abteilung (persoenlich.com berichtete). Unter ihrer Verantwortung findet derzeit eine «Angebotsfokussierung» im Bereich «Gesellschaft & Kultur» statt.

«Beim Publikum eine möglichst hohe Wirkung erzeugen»

Die «Angebotsfokussierung» sei ein Prozess, mit dem «in allen Abteilungen und Bereichen regelmässig punktuelle Anpassungen in der Organisation und im Angebot vorgenommen» würden, erklärt die SRF-Medienstelle auf Anfrage. Dabei gehe es stets darum, die Ressourcen für Angebote einzusetzen, «die beim Publikum eine möglichst hohe Wirkung erzeugen». Was wenig Wirkung erzeugt, wird abgeschafft. Andere werden weiterentwickelt und neu positioniert. Bereits beliebte Sendungen werden weiter gestärkt.

Am 29. Oktober informierten die Verantwortlichen über die Konsequenz der «Angebotsfokussierung». persoenlich.com liegt die dort gezeigte Präsentation vor. Auf Anfrage bestätigt SRF das Vorgehen. «In Bezug auf den Themenbereich ‹Gesellschaft & Kultur› sind die entsprechenden Entscheide gefällt worden. Deren Umsetzung wird aktuell ausgearbeitet», schreibt die Medienstelle auf Anfrage. Es sei das Ziel, «wirkungsschwache Angebote zu identifizieren und zu evaluieren, ob deren Themen auf andere Weise gezielter ans Publikum gebracht werden können.» Freigewordene Mittel würden für neue und bestehende Angebote verwendet, wobei die Ressourcen pro Themenbereich insgesamt gleich blieben, erklärt SRF weiter.

Als wirkungsschwach identifiziert wurden die Audioformate «Kontext», «Künste im Gespräch» und «Kultur-Talk». Sie verschwinden aus dem Angebot von SRF. Ihre Themen sollen künftig in einem täglichen Kultur-Talk vorkommen.

Abbau anspruchsvoller Kulturpublizistik

Die Einstellung von «Kontext» markiert eine Zäsur, wobei der Anfang vom Ende schon drei Jahre zurückliegt. Damals wurde die frühere Flaggschiffsendung von Radio DRS 2 (später SRF 2 Kultur) auf einen Podcast eingedampft. Der Verzicht auf «Kontext» bedeutet vor allem einen Abbau anspruchsvoller Kulturpublizistik, die auf journalistischer Recherche und der handwerklichen Aufbereitung als gestaltete Beiträge mit O-Tönen, Gesprächen und Reflexion basierte. Entsprechend konsterniert und irritiert reagierte die Belegschaft auf den Entscheid.

«Mit einer schnell gestrickten Talksendung können wir uns in der Medienlandschaft nicht profilieren», steht in einem Protestbrief an SRF-Direktorin Nathalie Wappler in ihrer Rolle als Interim-Kulturchefin. Das von 50 Redaktorinnen und Redaktoren unterzeichnete Schreiben liegt persoenlich.com vor. Darin wirft das Personal auch die Frage auf, warum SRF nicht stärker in den «Kontext»-Podcast investiert hatte, nachdem dieser 2021 gezielt für ein Publikum unter 40 lanciert wurde.

Besser ergeht es derweil dem «Kulturplatz», quasi das Pendant zum abgeschafften «Kontext». Die Fernsehsendung erhält einen «Entwicklungsauftrag» und soll so zu einem «Digital First»-Angebot weiterentwickelt werden. Ein Vorgehen, den sich die «Kontext»-Macherinnen- und Macher auch gewünscht hätten. In ihrem Schreiben fordern sie, ein Format entwickeln zu können, das auch weiterhin von der Vielfalt journalistischer Formen lebt. «Nur so können wir uns in der Medienlandschaft von der Masse abheben und die Gebühren rechtfertigen, die unsere Arbeit ermöglichen», schreiben die Kulturjournalistinnen und -journalisten.

«Eines der erfolgreichsten Angebote von SRF»

Als grosse Gewinnerin aus der internen Mittelumschichtung geht Mona Vetsch hervor. Ihre Sendungen «Mona mittendrin» und «Auf und davon» – beide sind Teil des Kulturangebots – will SRF aufwerten und ihnen noch mehr Sichtbarkeit verschaffen. So sollen künftig vier der neun jährlichen «Mona mittendrin»-Sendungen in einer ausgebauten 50-Minuten-Version am Donnerstagabend im SRF-Fernsehprogramm zu sehen sein. «Eines der erfolgreichsten Angebote von SRF erhält das passende Schaufenster, wo es sein ganzes Potenzial entfalten kann», schreiben die Verantwortlichen dazu. Diese Stärkung erfolgt gemäss dem Gebot, das Kulturangebot von SRF konsequent aufs Streaming auszurichten und dabei auf Persönlichkeiten zu setzen, die beim Publikum beliebt sind – was auf Mona Vetsch zweifelsohne zutrifft. Die Mona-Mania entspricht auch der SRF-Dachmarkenstrategie mit einem «konsequenten Fokus auf starke Marken».

Neben der Streichung und Stärkung bestehender Angebote schafft SRF Kultur auch neue Formate. So soll zum Thema True Crime ein «trimediales Leuchtturmprojekt» entstehen, mit hochwertigen Video- und Audioangeboten für ein breites Publikum. Davon erhofft sich SRF, eine Zielgruppe zu «erreichen, die für ein öffentliches Medienhaus wichtig ist und bisher unterversorgt blieb: U40, weiblich, mit Berufsbildung.» Auch hier setzt SRF auf Personality: «Ein kompetenter und sympathischer Host soll dem neuen Angebot Sichtbarkeit nach aussen verleihen», schreiben die Verantwortlichen.

Mehr Präsenz in den reichweitenstarken Kanälen

Insgesamt soll die «Angebotsfokussierung» den Kulturthemen im SRF-Angebot mehr Sichtbarkeit verschaffen, etwa indem deren Präsenz in den reichweitenstarken Kanälen und Plattformen gestärkt wird. Diesen Anspruch in der Praxis nachzuleben, erweist sich in der Praxis komplizierter als gedacht, wie eine Episode zeigt. In letzter Zeit versuchten vermehrt Kultur-Redaktorinnen und -Redaktoren ihre Themen in den Informationssendungen von Radio SRF unterzubringen. Doch dort lehnte man dankend ab. Aufgrund des Spardrucks kann es sich die Information nicht leisten, Beiträge aus anderen Abteilungen einzukaufen.

Die nun beschlossenen Anpassungen werfen die Frage auf, ob SRF den in der Konzession festgeschriebenen Kulturauftrag weiterhin angemessen erfüllen kann. Auch wenn es für eine Beurteilung zu früh ist, solange nicht alle Massnahmen umgesetzt sind, zeigen sich zumindest heikle Tendenzen. «Mona mittendrin» und «Auf und davon», die als neue Kultur-Flaggschiffe positioniert werden, unterscheiden sich formal und inhaltlich nicht wesentlich von «SRF bi de Lüt». Diese Sendereihe kommt allerdings aus der Abteilung Unterhaltung. Eine Annäherung der Kultur an die Unterhaltung im Zeichen der Reichweiten- und Wirkungssteigerung trägt nicht unbedingt zur Schärfung des Profils bei. Das vom Abbau der klassischen Kulturformate betroffene Personal formuliert es drastischer: «Wer nur auf Reichweite und Klicks schielt, wird einen populistischen Kulturbegriff vertreten, Kulturinteressierte verärgern und den Auftrag der Fokussierung verfehlen.»


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KOMMENTARE

Thomas Xaver Graf
03.12.2024 10:20 Uhr
Das Land, die Deutschschweiz, braucht Qualitität in der Berichterstattung und kritischen Einordnung künstlerischen Schaffens. Es ist damit schon jetzt höchst unterversorgt. Zeitungen wie der TA rudern länger schon lustlos in untiefen Gewässern bei der Kulturberichterstattung. Zwecks Shareholder-Prioritäten. Diese weitere Seichtisierung der Kultursparte beim öffentlichrechtlichen SRF ist genau der falsche Kurs: Es bräuchte mehr Investition, Esprit, Witz, intellektuellen Tiefgang, um das künstlerische Schaffen attraktiv zugänglich zu machen. Seit wann war Reichweite, waren Klicks in diesem Bereich taugliche Beurteilungskriterien? Wollen wir vor allem Volkstümliches im Kulturteil? Wer schafft dieser völlig verkehrten Strategie des vorauseilenden Abbaugehorsams Abhilfe?
Vanessa Brügger
23.11.2024 10:05 Uhr
Das SRF liefert mir beinahe täglich einen weiteren Grund, der Halbierungsinitiative zuzustimmen. Ich wünsche mir Information mit Qualität und nicht zweitklassige Unterhaltungssendungen. Auch nicht, wenn sie vom SRF als Reportage oder Kultur deklariert werden.
Christoph Keller
22.11.2024 17:04 Uhr
Danke für diese Einschätzung, lieber Nick Lüthi. Nur - dass Kontext im einstündigen Format erfolglos war, ist falsch. Richtig ist, dass die einstündige Sendung an Hörer:innen gewann, und richtig ist, dass die Sendung die erste war, die als Podcast erfolgreich war (im halbstündigen Format gab es noch gar keinen Podcast). Muss ich wissen, ich war Redaktionsleiter von Kontext bis 2019.
Christian Rentsch
22.11.2024 16:49 Uhr
Da ja mittlerweile auch bei der SRG sich alles nur noch ums Geld und - damit verbunden - um Reichweite - dreht, wäre die angemessene Reaktion auf die Entsorgung fast aller seriösen Kultursendungen wohl, dass alle Kulturinteressierten ihre Radio- und Fernsehgebühren nicht mehr an Serafe, sondern auf ein Sperrkonto bezahlen, der Serafe & SRG ihren Einzahlungsbeleg schicken. Mit Kopie an eine noch zu schaffende "Petitions"-Stelle. Bei einigen zehntausend Boykott-"Petitionär*innen" macht das schnell ein paar Millionen aus.
Severina Eggenspiller
22.11.2024 12:34 Uhr
Es ist bedauerlich und unverständlich, dass eine qualitätsvolle Sendung wie Kontext abgeschafft wird. Treue Hörer:innen, die gerne für einen SRF Journalismus mit Tiefgang Gebühren bezahlen, werden vor den Kopf gestossen. Den vom Entscheid betroffenen Journalist:innen möchte ich sagen: eure kompetente und zuverlässige Arbeit wird geschätzt!
Barbara Bolliger
21.11.2024 14:20 Uhr
Mona mittendrin ist für mich keine Kultursendung sondern eine interessante und wissenswerte Unterhaltungssendung. Dieser Vorschlag (ich hoffe es ist kein Entscheid) Kontext zu streichen, ist ein überaus grosser Verlust für SRF2-Kultur-Interessierte.
Victor Brunner
20.11.2024 10:24 Uhr
Wir haben doch schon genügend Mona Vetsch die bis nach Neuseeland reisen darf auf Kosten ZwangsgebührenzahlerInnen. Warum nicht neue, spannender Gesichter. Das ganze ist eher eindampfen als Reichweite ausbauen!.
Vera Rottenberg
20.11.2024 10:10 Uhr
Eine beängstigende Simplifizierung steht uns als treuen Kultursenderkonsumenten bevor, passend zum politisch Urstände feiernden Populismus. Lässt sich das Rad noch umdrehen? Ob seichte Kultur breitere Aufnahme findet, scheint fraglich und verfehlt den Verfassungsauftrag.
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