Herr Supino, der "Tages-Anzeiger" und die "Sonntags-Zeitung" haben ab nächstem Jahr einen Chefredaktor. Warum haben Sie sich für diesen ungewöhnlichen Schritt entschieden?
Der "Tages-Anzeiger" als führende Schweizer Tageszeitung aus Zürich und die "Sonntags-Zeitung" als grösster nationaler Wochentitel haben eine je eigene Geschichte. Gleichzeitig gab es immer schon eine Zusammenarbeit zwischen den beiden Titeln, die im Laufe der Zeit zugenommen hat.
Ja, aber wieso legt man deswegen nun gleich die Führung zusammen?
Beide stehen vor der Herausforderung, ihre Angebote weiter zu digitalisieren, wofür es eine kritische Grösse braucht und eine Differenzierung nach dem Erscheinungszeitpunkt der gedruckten Ausgaben kein überzeugendes Kriterium ist. Natürlich müssen aber auf der zweiten Ebene titelspezifische Verantwortlichkeiten festgelegt werden, um die grosse Arbeit zu bewältigen und die unterschiedlichen Identitäten der beiden Zeitungen zu erhalten, die in den Kernbereichen Inland, Wirtschaft und im Falle des "Tages-Anzeigers" Zürich sowie mit je eigenen Rechercheteams weiterhin unabhängig voneinander operieren werden.
Der neue Chefredaktor Arthur Rutishauser soll die zusätzliche Aufgabe erst Anfang 2016 übernehmen. Wird damit der bisherige Chefredaktor Res Strehle nicht zur Lame Duck?
Nein. Dieses Risiko stellt sich bei einem hervorragenden Chefredaktor nicht. Er hat selber auf die frühzeitige Planung seiner Nachfolge hingewirkt und wird auch nach seiner Pensionierung mit einem reduzierten Pensum als Publizist und Mentor weiter für den "Tages-Anzeiger" wirken. Und mit Arthur Rutishauser konnten wir jemanden aus unserem Haus für die Aufgabe gewinnen, der nicht nur durch seine Unabhängigkeit und seinen Leistungsausweis als Chefredaktor bei der "SonntagsZeitung" überzeugt, sondern auch die Redaktion des "Tages-Anzeigers" von innen kennt und mehrere Jahre eng mit Res Strehle zusammengearbeitet hat.
Welche Bedeutung nimmt eigentlich heute noch der "Tages-Anzeiger" innerhalb von Tamedia ein? Martin Kall, der ehemalige CEO, hat bereits vor Jahren betont, dass dessen Bedeutung vor allem im digitalen Bereich liege.
Die Zukunft des "Tages-Anzeigers" liegt sicher auch im digitalen Bereich. Im Gegensatz zum Print wächst dieser. Wie das Verhältnis in zehn Jahren aussieht, weiss ich nicht; es ist auch nicht so wichtig. Es ist nicht der Druck, der den Tages-Anzeiger ausmacht. Entscheidend ist der Inhalt. Für uns spielt es schlussendlich keine Rolle, ob der "Tages-Anzeiger" digital oder auf Papier gelesen wird. Der "Tages-Anzeiger" ist für Tamedia nach wie vor wichtig. Er macht rund zehn Prozent unseres gesamten Umsatzes aus und ist eng mit unserer DNA verwoben. Das journalistische Credo, das in der ersten Ausgabe vom 2. März 1893 unter dem Titel «Was wir wollen» ausgeführt ist, hat bis heute Bedeutung für das ganze Unternehmen.
Inwiefern?
Der wichtigste Punkt ist die Unabhängigkeit. Wir sind an keine Interessengruppen gebunden, wollen keine Politik machen und betrachten uns auch nicht als Teil des Establishments. Wir wollen unseren Lesern Übersicht und eine Orientierungshilfe bieten, damit sie sich eine eigene Meinung bilden können. Wir sind der Ansicht, dass jedes Ereignis aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden kann. Deswegen betreiben wir unser Geschäft aus einer liberalen Grundhaltung heraus.
Das tönt sehr edel. Aber in der öffentlichen Wahrnehmung gilt der "Tages-Anzeiger" immer noch als linke Zeitung.
Im Laufe seiner Geschichte hat man dem "Tages-Anzeiger" so ziemlich jeden Vorwurf gemacht, den es gibt. Er ist – und so steht es auch in seinem Titel – eine unabhängige Zeitung. Das gilt für alle unsere Medien, die insgesamt ein sehr breites Meinungsspektrum abbilden.
Tamedia ist im Schweizer Markt mit Abstand der grösste Verlag. Gibt es für Sie überhaupt noch ein Wachstumspotenzial?
Unser Geschäft lässt sich in drei Kategorien einteilen: Publizistik, Marktplätze und eine Reihe weiterer Onlineaktivitäten, die im Unternehmensbereich Digital zusammengefasst sind.
... wobei die digitalen Aktivitäten mit dem ursprünglichen Geschäft eigentlich nichts zu tun haben.
Das würde ich so nicht sagen. Darin vertreten sind beispielsweise Rubrikenplattformen wie jobs.ch oder Homegate, die letztlich das Resultat der Fragmentierung des traditionellen Mediengeschäftes sind, heute aber in anderer Form geführt werden. Während die digitalen Umsätze wachsen, entwickeln sich Abonnementszeitungen insgesamt leicht rückläufig, wobei die Digitalisierung hier auch zu tieferen Kosten führt. Bei den Pendlerzeitungen haben wir in der Schweiz nach Jahren des Wachstums den Plafond erreicht. Dies im Gegensatz zu 20minuten.ch, das weiterhin wächst und momentan sowohl umsatz- wie ergebnismässig einen eigentlichen Boom erlebt. Interessanterweise geht dieser nicht zulasten der Zeitung.
Und im Ausland?
Wir haben das Pendlergeschäft bereits nach Luxemburg und Dänemark exportiert. In Luxemburg entwickelt sich "L’essentiel" sehr erfolgreich. In Dänemark wissen wir noch nicht, ob "Metroxpress", so heisst unsere Zeitung, auch ein wirtschaftlicher Erfolg wird. Ich glaube aber, dass die Voraussetzungen dafür sehr vielversprechend sind. Und wir haben bereits weitere Länder im Visier.
Oftmals hört man hinter vorgehaltener Hand den Vorwurf, dass die Tamedia für die Schweiz viel zu gross sei.
Selbstverständlich kenne ich diese Diskussion, halte sie aber für völlig verfehlt. Für mich stellt sich vielmehr die Frage, ob Tamedia überhaupt die notwendige kritische Grösse hat, um die Herausforderungen der Zukunft unternehmerisch zu meistern. Wir stehen mittlerweile in Konkurrenz mit grossen, internationalen Playern auch von ausserhalb des Mediensystems. Es gibt aber auch noch einen anderen Grund, weshalb diese Diskussion am Thema vorbeigeht: Wir sind vor allem im Grossraum Zürich, im Grossraum Bern und rund um den Lac Léman tätig. In diesen attraktiven Gebieten stehen wir in einem ganz anderen Wettbewerb als viele regionale Verleger, die in ihren Gebieten oftmals über ein Monopol verfügen. Bevor man sich über die Grösse von Tamedia beklagt, sollte man über die Dominanz von kleineren Verlagshäusern in ihren Regionen nachdenken.
Tamedia galt lange Zeit als Leuchtturm im Schweizer Journalismus. Nun hat Ihr Haus viele prominente Abgänge zu vermelden, zuletzt beispielsweise Mathias Ninck vom "Magazin". Woher rührt eigentlich diese Verunsicherung?
Da hat sich nichts geändert. Es ist normal, dass es in einem Unternehmen, das rund 1'400 Journalisten beschäftigt, manche gehen und andere kommen.
Dann ist alles problemlos.
Die ganze Branche befindet sich im Umbruch. Das bringt Verunsicherungen mit sich. Diese Verunsicherung ist aber in unserem Haus nicht grösser als bei andern Verlagshäusern. Im Gegenteil: Da unser Unternehmen sehr gut dasteht, können wir unseren Mitarbeitern punkto Arbeitsbedingungen, Investitionen und Innovation ganz andere Möglichkeiten bieten als viele andere Unternehmen, die nicht so gut aufgestellt sind.
Wollen Sie in den nächsten Jahren Präsident des Verbandes Schweizer Medien werden?
(Lacht) Nein.
Wirklich nicht?
Mit ganz grossen Buchstaben: NEIN.
Interview: Matthias Ackeret, Bilder: Tamedia
Was Pietro Supino über die Erfahrungen mit der Paywall sagt, die Auswirkungen des starken Frankens, die Schweizer Medienpolitik oder über die Wirren bei der NZZ, lesen Sie im vollständigen Interview in der aktuellen "persönlich"-Printausgabe.