25.10.2024

Tamedia

Redaktionen wehren sich mit Protestvideo gegen «Sparhammer»

Kurz bevor in den Tamedia-Redaktionen nächste Woche die Kündigungsgespräche stattfinden, solidarisiert sich die Belegschaft und veröffentlicht ein Protestvideo. Darin sprechen sich 20 Persönlichkeiten gegen den Abbau aus, darunter Mitte-Präsident Gerhard Pfister, Satirikerin Lara Stoll und Schriftsteller Pedro Lenz. Zudem geht ein Protestbrief an die Geschäftsleitung.
Tamedia: Redaktionen wehren sich mit Protestvideo gegen «Sparhammer»
20 Persönlichkeiten aus der Deutschschweiz äussern sich im Video der Tamedia-Redaktionen gegen den Abbau. (Bild: Keystone/Michael Buholzer/Screenshots)

Zwei Monate ist es her, dass Tamedia einen radikalen Um- und Abbau verkündet hat. Die neue Strategie von CEO Jessica Peppel-Schulz fokussiert digital auf die vier grossen Titel Tages-Anzeiger, Basler Zeitung, Berner Zeitung/Bund und 24 Heures. Rund 290 Vollzeitstellen werden abgebaut, davon 90 in den Redaktionen in der Deutsch- und der Westschweiz (persoenlich.com berichtete).

Seither kommen die Redaktionen nicht zur Ruhe. Die Chefredaktion vom Tages-Anzeiger wird neu aufgestellt, und verschiedene Teams werden neu organisiert. Es kommt zu Nichtbesetzungen von Vakanzen und internen Wechseln. Um zusätzlich freiwillige Abgänge zu fördern, hat die Geschäftsleitung in den vergangenen Wochen ein Programm gestartet, das laut mehreren Quellen bei der Belegschaft auf grosses Interesse stösst. 

20 Persönlichkeiten protestieren in Video

Bei denen, die in den Redaktionen bleiben wollen, dominiert seit Wochen die Frage: Verliere ich bald meinen Job? «Diese Unsicherheit ist eine grosse Belastung für die Redaktion, zumal sie daneben jeden Tag ihre  anspruchsvolle Arbeit gewissenhaft erledigt. Die Stimmung ist entsprechend angespannt», sagt Stefan Häne, Mitglied der Personalkommission von Tages-Anzeiger und SonntagsZeitung, gegenüber persoenlich.com.

Bald wird hier traurige Klarheit herrschen. Das Ende August gestartete Konsultationsverfahren ist seit einigen Tagen abgeschlossen. Tamedia verkündete anfangs Woche, dass es zu 17 Kündigungen kommt – neun in der Deutschschweiz und acht in der Romandie (persoenlich.com berichtete). Die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden im Laufe der nächsten Woche informiert. 

Kurz vor dieser Schicksalswoche solidarisieren sich die Redaktionen der verschiedenen Tamedia-Publikationen nun mit den entlassenen Kolleginnen und Kollegen und lancieren eine Protestaktion. In einem fünfeinhalb Minuten langen Video mit dem Titel «Sparhammer bei Tamedia», das auf YouTube veröffentlicht wurde, verleihen rund 20 Deutschschweizer Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Sport ihrer Besorgnis über den Abbau bei Tamedia Ausdruck. Die Redaktion habe‬ diese Schnipsel gesammelt und zusammengeschnitten, schreibt die Belegschaft in der Mitteilung zum Video, und fügt an: «In seiner ganzen Länge ergibt sich‬ ein Bild der Bestürzung.‬» Der Abbau bei Tamedia treffe die Gesellschaft mutmasslich in sehr vielen, sehr‬ unterschiedlichen Bereichen.

 

‭Diese unterschiedlichen Bereiche, die der Abbau trifft, werden auch im Protestvideo ersichtlich. Dort melden sich die Tele Züri-Moderatorin Patricia Boser ebenso zu ‬Wort wie Reto Müller, Gemeindepräsident von Langenthal. Der Zürcher‬ Regierungsrat Mario Fehr äussert sich neben Peter Zahner, CEO des ZSC. Besorgt zeigen‬ sich auch der Schriftsteller Pedro Lenz, die mehrfach ausgezeichnete Kabarettistin Lara‬ Stoll, Mitte-Präsident Gerhard Pfister oder SP-Nationalrätin Jacqueline Badran.‬ Diese sagt im Video: «Eine Zeitung ist essenzieller Bestandteil der‬‭ Demokratie.»‬

Schaden für die Demokratie

Nebst dieser Solidaritätsaktion wenden sich die Redaktionen mit einem Brief an den Verwaltungsrat der TX Group sowie an die Geschäftsleitung von Tamedia – namentlich sind im Brief, der persoenlich.com vorliegt, Pietro Supino und Jessica Peppel-Schulz angesprochen. «Der massive Stellenabbau bei Tamedia macht uns als Redaktion nicht nur betroffen, sondern bereitet uns auch grosse Sorgen», schreibt die Belegschaft an ihre Führung. Die Tamedia-Titel leisteten einen wichtigen Beitrag zur journalistischen Grundversorgung im ganzen Land. Es drohe nichts weniger, als die Schweizer Demokratie Schaden zu nehmen, heisst es im Schreiben weiter. Und: «Der massive Abbau kostet nicht nur Jobs, sondern auch Aufklärung, Sichtbarmachung und Berichterstattung.»

Zum Abschluss schreiben die Redaktionen: «Wir sind uns bewusst: Ein Unternehmen muss wirtschaftlich gesund sein. Doch diese massiven Einschnitte erachten wir als verantwortungslos und zu kurz gedacht, nicht nur gegenüber den Mitarbeitenden, sondern auch in Bezug auf die Debatten-Qualität in der Schweiz.»

Massnahmen sind «unumgänglich»

Was erhoffen sich die Tamedia-Redaktionen vom Brief, der keine konkreten Forderungen beinhaltet? «Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möchten mit dieser Protestaktion ihre Kritik am massiven Abbau noch einmal unterstreichen und ihre Solidarität mit jenen ausdrücken, die nun gehen müssen», sagt Häne von der Peko.

Tamedia reagiert in einem Statement mit Verständnis auf die im Video gemachten Aussagen und auf die Solidarität mit den Betroffenen – verweist allerdings auf die Notwendigkeit der Massnahmen, «um auf die Veränderungen im Medienmarkt angemessen zu reagieren». Diese seien unumgänglich. Mit Vertreterinnen und Vertretern vieler Gruppierungen, die im Video zu Wort kämen, sei man bereits im konstruktiven Austausch. Mit denjenigen, mit denen man noch nicht im Gespräch sei, sollten in den nächsten Wochen unbedingt Gespräche stattfinden.

Bereits vor fünf Wochen gab es eine ähnliche Protestaktion in der Westschweiz (persoenlich.com berichtete). Dort haben sich 170 Persönlichkeiten gegen den Abbau von Tamedia gestellt und die Geschäftsleitung sowie die TX Group aufgefordert, von ihren Plänen abzukommen.


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KOMMENTARE

Ueli Custer
25.10.2024 11:00 Uhr
Während es dem TX-Konzern nach wie vor blendend geht, lagert man die Tageszeitungen aus. Dies als Vorbereitung auf den Tag an dem diese dann endgültig nicht mehr gedruckt werden. denn bis dann gibt es in der Schweiz keine Druckereien mehr, die Tageszeitungen zeitgerecht produzieren können. Es ist also schon alles vorbereitet für den Tod der Tamedia-Tagespresse. Ich hoffe, dass ich diesen Tag nicht mehr erleben muss.
Victor Brunner
25.10.2024 07:35 Uhr
Artikel: «um auf die Veränderungen im Medienmarkt angemessen zu reagieren». Unsinn, Fakt ist den Zeitungen. Papier und online, wurde gezielt und bewusst die Existenzgrundlage, Teilhabe am Inseratengeschäft und Werbung, zwecks Gewinnmaximierung entzogen! Die Erklärungen aus dem Management von TX Group und Tamedia warum Leute entlassen werden müssen, Zeitungstitel mariginalisiert, das journalistische Angebot abgebaut wird, sind eine Zumutung und zeigt die fehlende Wertschätzung des Managements gegenüber den AbonnentenInnen, den LeserInnen, den mündigen Menschen!

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