Das Berner Nobelhotel Bellevue vor einer Woche: Der Saal platzt aus allen Nähten. Als wäre ein Staatsempfang oder eine Lobbyveranstaltung für Parlamentarier. Aber mit Geschenken. Doch es ist weitaus brisanter: Der Zürcher Soziologieprofessor Kurt Imhof erklärt den anwesenden Journalisten den Zustand ihrer Branche. Und dieser sei erschreckend schlecht. "Die Diktatur der Reichweite" habe die Macht übernommen. Die Folge: Die Qualität war noch nie so tief, das Angebot noch nie so mager, die Branche kurz vor dem Zerfall. Die Zukunft düster: "qualitätsniedrigen Medien" berichten – wenn überhaupt – hauptsächlich nur noch über die SVP. Doch unsere Medien realisierten dies gar nicht mehr: Deren Reflektionsniveau, konstatiert Imhof, sei unterirdisch.
Die Präsentation des "Jahrbuch Qualität der Medien" ist längst zu einem Ritual geworden. Und Kurt Imhof – und dies ohne Ironie – deren Superstar, eine Art akademischer Ueli Maurer. Keiner geisselt den Zustand der Branche so brillant wie Imhof, keine erzeugt soviel Aufmerksamkeit. Doch vielleicht gehört es zu den Paradoxien unserer Branche: je schlechter es ihr geht, desto blühender die Reflexionsindustrie: Letzte Woche präsentierte Avenir Suisse ihren Medienbericht, kurz vorher die Eidgenössische Medienkommission. Ex-"Sonntagszeitung"-Chef Andreas Durisch hat eine 2-Million-Stiftung zur Qualitätssicherung der Medien ins Leben gerufen. Irgendwann – und das ist wohl der Zweck der Übung – werden die Ärzte den letzten Kranken überlebt haben. Dummerweise berichtet dann niemand mehr darüber. Nur Imhof sitzt weiterhin im Bellevue und präsentiert sein Jahrbuch.