Herr Grunder, Herr Koerfer, wenn man sich in der Branche umhört, wissen viele gar nicht mehr, wofür Farner heute steht. Sie sind überall und vor allem in allen Bereichen tätig.
Michel Grunder: Farner hat seine eigene Geschichte. Wir kommen ursprünglich aus der politischen Kommunikation, der PR und der klassischen Unternehmenskommunikation. Seit den Nullerjahren hat sich das Unternehmen in den Bereichen Change, Marketing & Werbung, Digitalmarketing und Technologie bis hin zum Branding weiterentwickelt. Die DNA unseres Unternehmens ist aber immer dieselbe geblieben: Wir lösen die Probleme unserer Kunden mit den unterschiedlichsten Werkzeugen der Kommunikation. Und das möglichst wirkungsvoll.
Sie haben die Geschichte angesprochen. Inwiefern spielt diese bei Farner heute noch eine Rolle?
Michel Grunder: Das ist essenziell. Unser Vorvorgänger Christian König betonte ständig, dass sich die Zukunft aus der Herkunft entwickle. Farner war die erste Kommunikationsagentur der Schweiz – ein richtiges Pionierprojekt. Die 72-jährige Farner-Geschichte prägt uns als Agentur natürlich sehr. Und Farner prägt gleichzeitig auch die Branche. Unser Alumni-Netzwerk ist sehr gross. Viele, die heute noch in den unterschiedlichsten Bereichen der Kommunikation arbeiten, waren einmal bei Farner. Pablo und ich sind stolz, dass wir diese Geschichte weiterschreiben und auch neu interpretieren können. Das gibt uns sehr viel Energie.
«Es waren immer die Themen, die die Schweiz bewegten»
Farner galt immer als bürgerliche Agentur ...
Michel Grunder: Es zeichnet unsere Agentur aus, dass wir immer nahe an den relevanten Themen und am Puls der Zeit sind und waren. In den 1980er- und auch 1990er-Jahren hatte die Sicherheitspolitik einen ganz anderen Stellenwert als heute, später kamen Gesundheit, Energie und Mobilität dazu. Ob diese Themen nun rechts oder links sind, ist meiner Meinung nach zweitrangig. Wichtig ist, dass es eben immer die Themen waren, die die Schweiz bewegten.
Was ist die DNA von Farner?
Pablo Koerfer: Diese erkennt man erst, wenn man in die Agentur kommt und realisiert, dass viele Ideen, die Farner bereits vor 72 Jahren präsentierte, heute immer noch zeitgemäss sind.
Beispielsweise?
Pablo Koerfer: Zwei ikonische Farner-Beispiele aus dem letzten Jahrhundert: Als sich Zürich in den 1970er-Jahren für die Winterolympiade bewarb, produzierte Farner den Olympiasong «Uf d Socke mache» und lancierte so einen Hit, der in den Radios in Dauerschleife lief. Oder als Coca-Cola ihre Süssgetränke in der Schweiz lancierte, hat Farner – um möglichst viele Konsumentinnen und Konsumenten direkt zu erreichen – vorgeschlagen, die Produkte in den Coiffeursalons zu verteilen. Die Markteinführung war damals nicht ganz einfach, weil das Getränk völlig neu und auch ungewöhnlich war, was auch unkonventioneller Massnahmen bedurfte. Farner zeichnete sich immer durch kreative und medienneutrale Ideen aus, die ihrer Zeit voraus waren und die heute noch funktionieren.
Was hat sich in den letzten Jahren am meisten verändert?
Michel Grunder: eindeutig die Komplettierung der kommunikativen Wertschöpfungskette. Obwohl Farner von Anfang an über ein eigenes Designatelier verfügte, bekam die Kreativität unter unserem Vorgänger Roman Geiser plötzlich einen anderen Stellenwert und war der Zündstoff für eine neue Art von Kampagnen. Seither sind wir mit den Kreativagenturen der Schweiz absolut auf Augenhöhe. Dies gelang nicht zuletzt durch das Engagement bekannter Werber wie Philipp Skrabal oder Markus Gut sowie Digital Marketeers wie Daniel Jörg.
Früher wurde Farner immer von einer einzelnen Person geführt, jetzt gibt es plötzlich eine Doppelspitze. Was soll das bezwecken?
Pablo Koerfer: Es ist einerseits Ausdruck der Grösse, die Farner mittlerweile hat, andererseits soll es auch aufzeigen, dass die Verantwortung nicht mehr nur auf einer Schulter lastet. Wir verstehen Führung als Teamaufgabe und arbeiten eng mit dem Management-Board zusammen, bestehend aus Daniel Jörg, Karin Ryser, Markus Gut, Nina Krucker, Philipp Skrabal, Raphael Bienz, Urs Knapp und uns beiden.
«Die Doppelspitze ist für uns und die Agentur eine Bereicherung»
Wie haben Sie die Führungsstruktur mit einer Doppelspitze organisiert?
Pablo Koerfer: Wir haben die Agentur nach Fachbereichen aufgeteilt, die unsere Mitglieder des Management-Boards leiten. Ich coache alles, was mit Marketing-Kommunikation, Digitalmarketing, Branding und Change Management zu tun hat. Michel deckt dagegen den ganzen Public-Affairs-, Corporate-Communications- und Behavioral-Science-Bereich ab. Wir sitzen zusammen in einem Büro an einem gemeinsamen langen Tisch und sprechen uns häufig ab. Es ist wichtig zu wissen, was beim anderen gerade ansteht. Die übergeordneten Agenturthemen führen wir gemeinsam. Das wöchentliche Managementmeeting leiten wir beispielsweise abwechselnd. Nun sind wir im achten Monat und bemerken, dass wir überhaupt nicht ineffizient sind. Der grösste Nachteil wäre es, wenn sich die Agentur durch eine Doppelspitze verlangsamen würde. Doch das ist nicht der Fall. Die Doppelspitze ist für uns und die Agentur eine Bereicherung.
Farner ist heute gemäss LSA-Ranking die grösste Schweizer Werbeagentur. Wie weit ist die Verschmelzung von Werbung und Kommunikation fortgeschritten?
Pablo Koerfer: Gerade hier sieht man, wie sich die Branche in den vergangenen Jahren verändert hat. Bei den LSA-Mitgliedern handelt es sich längst nicht mehr um reine Werbeagenturen, sondern hauptsächlich um Kommunikationsunternehmen mit einem integrierten Dienstleistungsangebot, wobei Werbung und Kreativität ein grosser Bestandteil sind. Dass wir im LSA-Ranking zuvorderst stehen, freut uns natürlich …
«Es ist klar, Farner hat eine bürgerliche Vergangenheit und auch Prägung»
Farner steht seit jeher für klassische Kommunikation. Heute reicht das Spektrum von der SP über die Grünliberalen bis zu Kompass/Europa, die den Rahmenvertrag bekämpfte, und der Lancierung der Bundesratskandidatur von Frau Baume-Schneider. Wie leben Sie mit diesen Widersprüchen?
Michel Grunder: Wir sind ein Dienstleister. Wie ich anfänglich ausführte, ist Farner bei den relevanten Themen, die die Schweiz beschäftigen, immer an vorderster Front dabei. Vor zwei Jahren hat der Rahmenvertrag die politische Diskussion bestimmt. Es ist klar, Farner hat eine bürgerliche Vergangenheit und auch Prägung. Auch bei vielen Kunden, die aus der Wirtschaft stammen, ist dies der Fall. Trotzdem haben wir immer wieder Kunden, die links und rechts von der Mitte stehen. Unser Ziel ist es dabei immer, Mehrheiten zu finden.
Stört es einen GLP-Wähler nicht, dass Sie auch die SP beraten?
Michel Grunder: Also, wir könnten bei eidgenössischen Wahlen nicht gleichzeitig die Dachkampagne für die Sozialdemokraten und die Grünliberalen machen. Das beisst sich. Wir können bei einer Abstimmung auch nicht gleichzeitig das Pro- und das Gegenkomitee unterstützen. Auch unsere Teamzusammenstellung spielt bei dieser Frage eine wichtige Rolle: Wenn sich niemand aus dem Team für ein bestimmtes Mandat engagieren will, wird es schwierig. Ich persönlich habe das Rahmenabkommen gerne bekämpft, für andere war es ein No-Go. Das ist auch gut so. Wir sind gross genug, um verschiedene politische Richtungen abzudecken.
Pablo Koerfer: Wir sind mittlerweile in so vielen Bereichen und Märkten tätig, dass wir bereits im Vorfeld prüfen, über welche Mandate wir verfügen. Damit wollen wir Konfliktsituationen vermeiden. Sobald wir sehen, dass wir die Interessen einer bestehenden Geschäftsbeziehung tangieren, nehmen wir ein Mandat nicht an. Nur in einem Markt und dann noch in einer bestimmten Positionierung zu Hause zu sein, funktioniert ab einer gewissen Grösse nicht mehr. Durch die Verjüngung unserer Agentur und auch durch unsere neuen Partnerfirmen konnten wir ein völlig neues Potenzial erschliessen.
«Wir müssen uns und unser Handwerk laufend neu erfinden»
Wenn es um ein politisches Engagement geht, ist Farner dabei ...
Michel Grunder: zumindest häufig. Da hilft uns wieder unsere Geschichte: Wir haben während der vergangenen 72 Jahre unsere Marke und unser Profil aufgebaut, das gibt uns ein enormes Potenzial und auch einen riesigen Erfahrungsschatz. Gleichzeitig können wir heute nicht mehr die gleichen Werkzeuge nutzen, die wir bereits vor einem halben Jahrhundert brauchten. Wir müssen uns und unser Handwerk laufend neu erfinden.
Wie kamen Sie zum Mandat mit Frau Baume-Schneider?
Michel Grunder: Das war eigentlich eine private Geschichte. Unser Mitarbeiter Martin Hofer kannte sie über den Vorstand der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft. Die beiden schätzen sich sehr. So kam es zur Anfrage von Frau Baume-Schneider, sie während der Bundesratswahlen zu unterstützen. Das ist ja bekanntlich geglückt.
Was sind die grössten Herausforderungen?
Pablo Koerfer: zweifellos die Integration der Partneragenturen, die momentan dazukommen. Dies betrifft nicht nur die menschliche und die kulturelle Komponente, sondern auch IT-, Finanz-, HR- sowie andere organisatorische Fragen. In der Aussensicht ist es die Bearbeitung der neuen Märkte, in denen wir nun tätig sind. Wirtschaftlich gesehen, verspüren wir momentan eine gewisse Zurückhaltung in verschiedenen Branchen und Märkten.
Michel Grunder: Wir wollen der agilste Tanker der Schweiz sein und unsere Effizienz trotz unterschiedlicher Standorte und Firmen beibehalten. Ich glaube, das ist uns bis jetzt ganz gut gelungen. Unsere Kunden erleben, dass wir eine Kommunikationsboutique mit einem hohen professionellen Standard sind.
Farner
Farner hat sich in den letzten Jahren zur komplettesten Agentur der Schweiz entwickelt und betreut mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Bereiche Public Affairs, Corporate Communications, Branding, Change sowie Commtech und Marketing Communications. Im LSA-Ranking 2022 ist Farner knapp hinter Publicis auf dem zweiten Rang, nachdem es die Liste mehrere Jahre angeführt hatte. Seit einem Jahr besitzt die unabhängige Investmentfirma Waterland die Mehrheit am Unternehmen, momentan sind 55 Partnerinnen und Partner aus dem gesamten europäischen Raum am «Team Farner» beteiligt. Zwischen Februar 2022 und Februar 2023 hat sich der Umsatz verdreifacht, in den vergangenen zwölf Monaten hat Farner zehn Firmen übernommen, weitere 10 bis 15 sollen dazukommen. Das Ziel: Farner soll zur Nummer drei der europäischen Kommunikationsagenturen werden. Kopf der ganzen Entwicklung ist der langjährige Mehrheitsaktionär und CEO Roman Geiser, der nun für die internationale Ausrichtung zuständig ist. Seit Anfang dieses Jahres leiten Michel Grunder und Pablo Koerfer das Schweizer Geschäft von Farner gemeinsam. Grunder selbst ist bereits mehrere Jahre bei Farner, Koerfer gehörte zum Gründungsteam von Rod, das 2019 von Farner übernommen wurde und während der Pandemie mit der Kampagne für das Bundesamt für Gesundheitswesen für Furore sorgte. Farner wurde 1951 von Rudolf Farner gegründet, der damit die erste modern strukturierte PR-Agentur ins Leben rief. Spätere Eigentümer waren Gustav Däniker, Christian König und zuletzt Roman Geiser. Farner verfügt über sechs Standorte. Zuletzt hat es sich durch Kampagnen für die Wahl von Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider und diejenige zur Ablehnung des Rahmenvertrags einen Namen gemacht. Die Abstimmung zur Medienförderung, die Farner begleitet hatte, ging verloren.
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