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Die Agentur der nächsten Ära

In den letzten Tagen erschütterten zwei Nachrichten die Werbebranche.

DDB, die legendäre Agentur, steht Gerüchten zufolge vor dem Brand-Sunset. Die 1949 von Bill Bernbach mitgegründete Agentur, die einst die kreative Revolution anstiess und für Volkswagen die ikonische «Think Small»-Kampagne entwickelte. Diese Agentur soll nun verschwinden – als Kollateralschaden der Omnicom-IPG-Fusion.

Zeitgleich meldet WPP, der weltgrösste Werbekonzern, sein sechstes Quartal mit negativem Wachstum in Folge. Der Aktienkurs: auf dem Niveau von 1998, allein dieses Jahr um 66 Prozent geschrumpft. Der Börsenwert: gefallen von 25 Milliarden Pfund in 2017 auf knapp 4 Milliarden Pfund heute.

Was ist hier los?

Eine Geschichte der Paradigmen

Die Geschichte der Agenturen ist eine Geschichte von Paradigmenwechseln – jede Epoche löste einen spezifischen Engpass, schuf einen Wettbewerbsvorteil, der dann unvermeidlich zum New Normal wurde.

Die 1960er – Die Kreativ-Ära: Der Glaube, dass brillante Kommunikation in einer Welt limitierter Werbeflächen Märkte bewegen kann, trieb alles. Dank Bernbachs neuem Modell entstand Originalität und kreative Spannung – und eine ganze Bewegung. Kreativität wurde zum Differentiator – bis jede Agentur aufholte.

Die 1990er – Die Digital-Ära: Das Internet veränderte alles: Plötzlich gab es Websites, Banner, E-Commerce – und niemand wusste wirklich, wie man damit umgeht. Agenturen wie Razorfish, AKQA oder Huge entstanden, digitale Kompetenz wurde zum Differentiator – bis jede Agentur Digital anbot und die Pioniere ihren Vorsprung verloren.

Die 2010er – Die Data-Experience-Ära: Dann kamen Daten und Personalisierung. Die Technologie war da, aber wie nutzt man sie für bessere Kundenerlebnisse? Wie personalisiert man in Echtzeit? Wie optimiert man Kommunikation? Performance Marketing, Programmatic Advertising, A/B-Testing at Scale waren geboren.

Und hier beginnt die Ironie.

Die falsche Wette?

Agenturen investierten massiv in das, was damals richtig war: Digitale Fähigkeiten, Daten-Kompetenz, messbares Performance Marketing. Aber jetzt passiert etwas Fundamentales. Künstliche Intelligenz demokratisiert gleich zwei Fähigkeiten gleichzeitig – und zwar rasant.

Erstens, das datengetriebene, digitale Marketing. Im September 2025 lancierte Meta vollautomatische Kampagnenplanung und Ausführung. Google folgte mit AI-generierten YouTube-Ads. Amazon bereits im Mai mit automatisierter TV-Werbung.

Big Tech, die Gatekeeper des Audience-Kontakts, überspringen die Agentur-Schicht. Sie bieten Unternehmen an: «Sagt uns euer Ziel und euer Budget – wir machen den Rest.» Die Technologie ist da – und wo sie heute noch nicht ganz rund funktioniert, wird sie das morgen tun.

Es kommt aber noch dicker: Mit Open Pro präsentierte selbst WPP vor ein paar Tagen ein Tool, das Marketingabteilungen KI-gestützte Strategieplanung, automatisierte Content-Erstellung und direkte Aussteuerung ermöglicht. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich selbst zu kannibalisieren.

Zweitens wird auch die Wertschöpfungskette der reinen Kreativagenturen drastisch verkürzt: Generative AI erstellt in Sekunden, was früher Tage brauchte. Text, Bilder, Videos, ganze Kampagnen-Konzepte. Jedes Format, jede Sprache, jede Variation.

Die brutale Erkenntnis

Der jahrelang erstrebenswerte Spagat von Agenturen – neben Kreativität auch Digital, Data und Performance zu beherrschen – wird zur Commodity. Der Wettbewerbsvorteil schmilzt dahin. KI-Lösungen übernehmen, im schlimmsten Fall von Big Tech selbst. Aber wenn eines klar ist, dann dies: Big Tech schlägt niemand mit Technologie.

Viele Agenturen haben den falschen Krieg gekämpft. Sie fokussierten sich auf neuartige Fähigkeiten, die künftig automatisierbar sind und von der Maschine besser optimiert werden. Sie bauten Armeen für eine Schlacht, die schon vorbei ist.

Und Kreativität allein, ohne strategische Verankerung und Integration in das Geschäftsmodell der Kunden, kann ihre volle Wirkungskraft nur selten entfalten.

Der Blick nach draussen

Aber wie könnte die Agentur der nächsten Epoche aussehen? Um das zu beantworten, müssen wir dorthin schauen, wo der Bedarf entsteht: Was brauchen Unternehmen wirklich?

1. Die Markt-Dimension: Was schafft Wirkung?

In einer Welt, in der AI-Produkt-Features und digitale Kundenerlebnisse leicht kopierbar macht, wird etwas wieder zentral: Eine klare Position im Markt, die polarisiert. Eine Mission, die alle Entscheidungen leitet.

Nicht irgendein Purpose-Statement. Sondern eine provokante Weltanschauung – eine Überzeugung darüber, wie die Welt sein sollte.

Die amerikanische Progressive Insurance wuchs 15 Jahre lang mit über 10 Prozent jährlich, während Wettbewerber bei 1 bis 2 Prozent dümpelten. Der Unterschied? Eine klare Weltanschauung: «Insurance should reward safe drivers, not subsidize risky ones.» Daraus entstanden konkrete Produkte – Snapshot-Technologie, personalisierte Preise, transparente Rabatte – und authentische Kommunikation. Die Mission definierte das Geschäftsmodell.

Diese drei Dimensionen – Weltanschauung, Produkte und Kommunikation – wie Zahnräder ineinandergreifen zu lassen wird auch künftig erfolgreiche von stagnierenden Unternehmen trennen.

2. Die Organisations-Dimension: Wer entscheidet wirklich?

Während Agenturen mit Werbung oder digitalen A/B-Tests beschäftigt waren, passierte in Unternehmen eine fundamentale Verschiebung: Die Marketing-Funktion wurde verzwergt.

Peter Drucker postulierte vor 70 Jahren: Unternehmen haben im Kern nur zwei Funktionen – Innovation und Marketing. Heute ist die Realität umgekehrt. Die Strategie-Abteilung treibt die Unternehmensentwicklung. Die Produkt-Abteilung tüftelt an Innovationen. Finance definiert die Budgets. Und Marketing wurde zur Asset-Fabrik degradiert.

Die strategischen Entscheidungen über Product, Price, Place, Promotion fallen heute in einem breiteren Kreis: CEO, CFO, COO, Chief Strategy Officer. Menschen mit analytisch-geschäftlicher Prägung, die in KPIs, ROI und quartalsweisen Forecasts denken.

Was folgt daraus?

Wer nur mit dem CMO spricht und nur «bessere Kampagnen» macht, verpasst, wo die strategischen Entscheidungen fallen und die Wachstumshebel eines Unternehmens gestellt werden.

Die Agentur der Zukunft muss aber nicht nur Zugang zur breiteren Geschäftsleitung haben. Sie muss auch deren Probleme verstehen und lösen können: Wie lösen wir die Probleme unserer Kunden besser? Wie differenzieren wir uns nachhaltig? Wie generieren wir neue Umsatzquellen und bessere Preissetzungsmacht?

Das sind keine Werbefragen. Das sind Geschäftsfragen. Und sie verlangen nach einem anderen Typ Partner.

Die Agentur der nächsten Ära

Die Agentur der nächsten Ära orchestriert Wirkung am Markt, nicht Aktivität im Marketing. Dafür muss sie drei Kernfähigkeiten beherrschen und zusammenwirken lassen:

1. Strategic Framing: Die Fähigkeit, die fundamentale Position zu definieren: Wo muss dieses Unternehmen im Markt stehen? Was ist die differenzierende Weltanschauung? Wie muss das organisatorisch verankert werden?

Das ist mehr als Branding. Es ist Geschäftsstrategie. Es überdauert Marketingkampagnen und Produkt-Features – es schafft Optionen für die Zukunft.

2. Experience Architecture: Die Fähigkeit, diese Weltanschauung erlebbar zu machen: Welche Produkte und Services manifestieren diese Überzeugung? Wo muss das Geschäftsmodell angepasst werden? Wie muss das Kundenerlebnis aussehen? Muss ich mich dafür anders organisieren?

Das ist mehr als UX-Design. Es ist strategisches Experience Design.

3. Creative Amplification: Die Fähigkeit, beides kommunikativ zu verstärken: Wie erzählen wir diese Geschichte? Wie machen wir Menschen neugierig? Wie schaffen wir Resonanz?

Das ist der Kern klassischer Agentur-Kreativität – aber nicht beliebig, sondern tief verwurzelt im strategischen Fahrplan eines Unternehmens.

Das Entscheidende dabei: Diese drei Fähigkeiten arbeiten nicht nacheinander, sondern integriert und iterativ. Und nicht nur innerhalb der Agentur, sondern auch über alle involvierten Unternehmensfunktionen. Die Magie entsteht in den synthetischen Verbindungen – wie Bernbach es schon wusste. Nur morgen auf einer anderen Ebene als gestern.

Das ökonomische Modell

Aber auch das Ergebnis ist ein anderes: Diese Agentur produziert für ihre Kunden nicht Kampagnen-Assets, sondern ein sich selbst verstärkendes System aus Weltanschauung, Angeboten und Kommunikation, das Mehrwert für Konsumenten und Auftraggeber schafft. Die Vergütung orientiert sich folgerichtig nicht an produzierten Assets oder abgerechneten Stunden, sondern am geschaffenen Wert. Höhere Retainer – weil der Wert strategisch ist. Teilweise erfolgsbasiert – weil echte Partner Risiko teilen. Ein Preismodell, das sich an Strategie-Beratungen und nicht an klassischen Agenturen orientiert.

Warum? Weil strategische Berater Wachstumsprobleme lösen, während klassische Agenturen Kampagnen produzieren.

Der Anfang von etwas Neuem

Vielleicht sind das Ende von DDB und die verpufften Milliarden von WPP also nur der Anfang von etwas Neuem.

Aber die nächste Agentur wird möglicherweise nicht aussehen wie eine Agentur.

Die Frage ist nur: Wer ist mutig genug, sie zu werden?


Thomas Ruck war Mitgründer von Accenture Interactive (heute Accenture Song) in der DACH-Region und Autor von «Wachstum durch Kundenerlebnis: Warum drei Kräfte tausend Touchpoints schlagen».

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

 

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B. Frick
10.11.2025 14:40 Uhr
Trifft den Nagel auf die Köpfe – auf alle Köpfe, die immer noch in Kreativ-Silos verharren.
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