Herr Harlacher, Sie treten als Präsident des Schweizerischen Werbe-Auftraggeberverbands (SWA) zurück und werden Ehrenpräsident. Was gab den Ausschlag für diesen doch überraschenden Entscheid?
Roger Harlacher: Die Information war für die Branche überraschend. Den Vorstand habe ich aber schon im Sommer des letzten Jahres informiert. Damit hatten wir genügend Zeit, meine Nachfolge zu planen. Und ich denke nach 16 fantastischen Jahren und zum 75-Jahre-Jubiläum des SWA ist es ein guter Moment, das Amt in neue Hände zu geben. Ja ich werde mit etwas Wehmut in den Rückspiegel schauen, lasse aber mit Zuversicht los, weil wir mit Jan De Schepper eine top Wahl für das Präsidium getroffen haben.
Sie erwähnen es: Der SWA wird 75 Jahre alt. Der letzte runde Geburtstag vor fünf Jahren fiel in die Corona-Zeit. Welche Auswirkungen hatte eigentlich die Pandemie auf die ganze Branche?
Harlacher: Glücklicherweise liegt das alles schon weit zurück, und hoffentlich werden wir das in dieser Form nie mehr erleben. Aber Corona hat vieles teilweise grundlegend verändert, das können wir auch in unserer Branche sehen. Allem voran hat Corona eine Digital-Rakete gezündet. Sehr vieles wurde in kürzester Zeit digitalisiert, was vorher kaum vorstellbar war. Und vieles davon ist geblieben. Das Konsumentenverhalten hat sich nachhaltig verändert, was auch in unserer Branche zu einem Umbruch geführt hat. Budgets haben sich in der Folge stark in digitale Kanäle verschoben und sind dort auch geblieben. Neben all dem Digital-Boom sehen wir in jüngerer Zeit aber auch den Trend hin zu mehr Erlebnissen, zu Events, zu menschlichen Kontakten. So sind Konzerte heute schneller ausverkauft denn je. Das zeigt: Menschen wollen neben «always on» auch physische Nähe.
Herr Ehrler, in den vergangenen Jahren ist neben der Pandemie doch einiges geschehen. Inwiefern hat sich die ganze Branche für die Auftraggeber verändert?
Roland Ehrler: Wir haben in den letzten Jahren eine digitale Transformation durchlebt und stecken jetzt gerade am Anfang einer KI-Transformation. Das hat die Marketing- und Werbebranche stark verändert und tut es noch. Trotz aller Nachteile durch die Pandemie hat die Branche eine Dynamisierung in der internen und externen Zusammenarbeit vollzogen und damit an Effizienz gewonnen. Die Integration von künstlicher Intelligenz in vielen Bereichen der Arbeitswelt hat inzwischen nochmals zu einer Steigerung bei Effizienz und Effektivität geführt. Auf der anderen Seite verspüren viele Unternehmen den Mangel an Fachkräften sowie einen anhaltenden Kostendruck, und das in nach wie vor bewegten Zeiten.
«Uns in der Schweiz geht es immer etwas besser als in anderen Ländern»
Welches sind momentan die grössten Herausforderungen für Ihre Mitglieder?
Ehrler: Gemäss unserer Mitgliederbefragung «Branchenindikator» Ende 2024 waren die Top-3-Herausforderungen die digitale Transformation, die Verbesserung der Kundenerfahrung sowie das Datenmanagement. Daneben gibt es aber viele «Dauerbrenner», welche die Marketer und Werbeauftraggeber fortwährend beschäftigen. So zum Beispiel das Customer-Journey-Management, der Nachweis des ROI im Marketing, der Datenschutz, die Wahl der richtigen Technologie oder die Personalisierung. Herausforderungen gibt es somit auf Kundenseite mehr als genug!
Wie schätzen Sie momentan die Situation auf dem Werbemarkt ein?
Ehrler: Gemäss unserem «Branchenindikator» dürften die Kommunikationsbudgets in diesem Jahr eher stagnieren. So wollen die meisten Werbetreibenden keine Veränderung im Kommunikationsbudget vornehmen und etwa gleich viel bzw. weniger ausgeben. Wenn ich dazu mit Kolleginnen und Kollegen befreundeter Verbände im Ausland spreche, sehe ich, dass es uns in der Schweiz immer etwas besser geht als anderen Ländern. Das zeigt sich auch im Werbemarkt.
«Die Tech-Giganten haben längst einen hohen Stellenwert für Werbeauftraggeber»
Der Medienmix ist zweifelsohne komplexer und damit auch komplizierter geworden. Ist diese Vielfalt für die Auftraggeber ein Vor- oder gar ein Nachteil?
Ehrler: Grundsätzlich ist Vielfalt für Auftraggebende immer positiv und besser als monopolisierte Angebote. Dabei folgt das Werbegeld der Mediennutzung, und diese findet seit mehreren Jahren immer mehr auf digitalen Kanälen statt. Die Komplexität sehe ich dabei als Chance für Mediaagenturen und Mediaspezialisten, welche den Unternehmen dabei helfen können, ihre Zielgruppen optimal zu erreichen. Zudem wird KI die Mediaplanung und den Einsatz in den nächsten Jahren nochmals dynamisieren.
Gerade die Tech-Giganten stehen ständig in der Kritik. Welchen Stellenwert haben sie für die Auftraggeber?
Ehrler: Wir gehen davon aus, dass bereits etwa die Hälfte aller Schweizer Werbegelder zu den internationalen Plattformen fliesst. Damit haben die Tech-Giganten längst einen hohen Stellenwert für Werbeauftraggeber. Durch die Veränderungen in der Mediennutzung werden die digitalen Kanäle in Zukunft noch wichtiger. Davon dürften vor allem die internationalen Plattformen profitieren. Umso wichtiger ist es, dass wir in der Schweiz ein funktionierendes Mediensystem mit News- und Serviceplattformen haben.
Wie ist das Verhältnis Ihres Verbands zu den traditionellen Schweizer Medienhäusern?
Ehrler: Unser Verhältnis zu den Marktpartnern ist gut, und man kennt sich seit Jahren. Gerade bei Gelegenheiten wie dem SWA-Jahresmeeting stossen wir gerne mit diesen wichtigen Partnern im Werbemarkt an. Und unter dem Jahr tauschen wir uns regelmässig aus und arbeiten gemeinsam an den Herausforderungen, wie zum Beispiel den Veränderungen in der Mediennutzung, Werbeverboten, Mediaforschung oder Nachhaltigkeit.
Blicken wir zurück: Was gab 1950 den Ausschlag, den SWA zu gründen
Harlacher: Die Schweiz erlebte in den 1950er-Jahren – nach dem Zweiten Weltkrieg – ein starkes wirtschaftliches Wachstum. Werbung in der Presse nahm stark zu, und die Verleger hatten betreffend Werbung eine fast schon marktbeherrschende Stellung, denn Fernsehwerbung gab es noch nicht. Damit war der Zeitpunkt gekommen, die Interessen der Inserenten zu bündeln. Deshalb hiess der Verband zur Gründung auch SIV (Schweizer Inserenten-Verband). Erst 1989 wurde der Verband in SWA umgetauft, da es inzwischen ein Vielfaches an Werbemöglichkeiten statt nur Inserate gab.
Wer waren die treibenden Kräfte?
Harlacher: Aus den Gründungsunterlagen ist ersichtlich, dass insbesondere der erste Präsident des SIV, Charles Schläpfer, CEO der Wander AG, die treibende Kraft war. Im ersten Vorstand waren zudem Vertreter der Magasins Globus AG, der Zigarettenfabrik Batschari AG, der Hamol AG und der Lintas AG. Nach dem ersten Vereinsjahr hatte der Verband bereits 62 Mitglieder.
«Für uns ist noch Luft nach oben, und wir wollen weiterhin auf Wachstumskurs bleiben»
Konnte man, historisch gesehen, gleich alle grossen Auftraggeber vom neuen Verband begeistern?
Ehrler: Soweit dies dokumentiert ist, waren jeweils immer viele grosse Werbeauftraggeber im SWA organisiert. Mit seiner täglichen Arbeit und relevanten Mehrwerten für Mitglieder konnte der Verband dann in den letzten zwanzig Jahren die Reihen kontinuierlich schliessen. So sind heute mehrheitlich alle grossen Werbeauftraggeber im Verband aktiv. Von den Top 20 sind es deren 19! Das hilft uns sehr, gegenüber Vermarktern oder der Politik die Interessen der Auftraggeber aktiv zu vertreten.
Haben sich die Ziele des SWA in den vergangenen 75 Jahren stark verändert?
Harlacher: Im Kern nicht. So ist der Zweck des Verbandes der gleiche wie vor 75 Jahren. Aber selbstverständlich hat sich der Werbemarkt massiv verändert. Für den SWA heisst das agil bleiben, um unsere Mitglieder in ihren Themen zu begleiten und zu unterstützen und damit Mehrwerte für sie zu schaffen. Dies immer mit dem Ziel: Sie sollen effizient und effektiv werben können. Dazu wurden insbesondere zahlreiche Mehrwerte und Services für die Mitglieder geschaffen und laufend ausgebaut.
Akquirieren Sie heute noch neue Mitglieder?
Ehrler: In unserer Strategie haben wir ein stetes Wachstum mit relevanten Mehrwerten und Services für unsere heute genau 215 Mitglieder definiert. Mit Blick auf die Unternehmensdaten von Media Focus gibt es für den SWA in der Schweiz ein Potenzial von etwa 750 Unternehmen, die mehr als eine Million Franken für Werbung ausgeben. Somit ist für uns noch Luft nach oben, und wir wollen weiterhin auf Wachstumskurs bleiben.
«Diese negative Einstellung gegenüber Werbung bereitet uns grosse Sorgen»
Wie gestaltet sich momentan das Verhältnis zu den Medienhäusern, und was sind deren Hauptanliegen?
Ehrler: In den letzten zehn Jahren stellten wir im nationalen Markt eine Konzentration bei den Medienhäusern fest. Wenige Anbieter vermarkten immer mehr Angebote, oft crossmedial. International können die Tech-Plattformen immer mehr Werbegelder an sich ziehen. Dabei wollen die Vermarkter im In- und Ausland die Kunden mit ihren Angeboten an sich binden und möglichst in ihrem Garten behalten. Als Interessenvertreter unserer Mitglieder sind wir mit allen wichtigen Stakeholdern in Kontakt, und wir haben die gleichen Anliegen wie schon zur Gründungszeit des SWA: Transparenz über Preise und Leistungen, unabhängige Forschungsdaten oder Sicherheit im Einsatz der Werbung (zum Beispiel Brand Safety).
Momentan besteht in der Schweiz – auch politisch – ein Unbehagen gegenüber der Werbung. Dies zeigt sich vor allem bei Werberestriktionen und auch beim geplanten Plakatverbot in den grossen Städten. Wie nehmen Sie dies wahr?
Harlacher: Diese negative Einstellung gegenüber Werbung bereitet uns grosse Sorgen. Es darf nicht sein, dass Werbung für legale Produkte für gesellschaftliche Probleme verantwortlich gemacht wird. Werbung gehört zu einer freien Marktwirtschaft wie das Benzin oder der Elektromotor zu einem Auto. Wie könnten wir sonst Konsumenten informieren und aufklären, wenn Werbung verboten wäre? Hier müssen wir als Branche Gegensteuer geben und die Öffentlichkeit von der gesellschaftlichen Relevanz der Werbefreiheit überzeugen.
«Jedes unnötige Werbeverbot untergräbt die Wirtschaftsfreiheit»
Woran liegt letztlich dieses Unbehagen gegenüber der Werbung? Da hat sich ja massiv etwas verändert in den letzten Jahrzehnten …
Harlacher: Die teilweise negative Wahrnehmung von Werbung in der Gesellschaft hat mehrere Gründe. Ganz vorne rangiert sicher der Vorwurf, dass Werbung ein Treiber eines übermässigen und falschen Konsums sei. Und weil Werbung omnipräsent ist, fühlen sich Menschen dadurch regelrecht bombardiert und manipuliert. Dazu kommen Datenschutzbedenken durch Tracking und Datensammlung für personalisierte Werbung. Das verunsichert Menschen. Da kommt schon einiges zusammen, und wir sind gefordert, dies ernst zu nehmen und respekt- und verantwortungsvoll zu werben. Und wenn Werbung gut gemacht ist, wenn sie informiert, amüsiert und unterhält, dann wird sie meistens auch gesellschaftlich geschätzt. Wir sind also alle gefordert, die Kreativität hoch zu halten.
Wird der Stellenwert der Werbung von der Politik zu wenig gewürdigt?
Harlacher: In der Tat ist die Politik oft sehr weit weg von den Themen der Werbewirtschaft. Dabei sind selbst Politiker und Politikerinnen – zum Beispiel für die Wahlwerbung – auf gute Rahmenbedingungen angewiesen, um die Stimmbevölkerung zu erreichen. Für Unternehmen ist Werbung überlebenswichtig, um Produkte und Dienste zu verkaufen. Deshalb wurde die Wirtschaftsfreiheit in Artikel 27 der Bundesverfassung verbrieft. Jedes unnötige Werbeverbot untergräbt die Wirtschaftsfreiheit.
Wie könnte man diesen Missstand beheben?
Harlacher: Die gesamte Branche ist gefordert, die Werbung als wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Faktor in der Politik und der Gesellschaft besser darzustellen. Wir müssen deutlicher herausstreichen, dass Werbung weit mehr ist als nur ein Instrument zur Verkaufsförderung, sie ist ein integraler Bestandteil unserer Wirtschafts- und Medienlandschaft mit vielfältigen positiven Effekten für Unternehmen und die Gesellschaft. Gemeinsam mit der Politik müssen wir dafür sorgen, dass nicht Partikularinteressen und Unwissenheit dazu führen, dass weitere Werbeeinschränkungen kommen. Aber manchmal habe ich das Gefühl, es seien sich noch nicht alle Markteilnehmer der Branche der Wichtigkeit dieses Themas bewusst. An einigen Orten ist es bereits fünf vor zwölf.
«Ohne KI geht bald nichts mehr»
Welche Durchsetzungsmöglichkeiten hat man konkret als Verband?
Ehrler: Unser grösster Hebel ist die Stimme der über 210 Werbeauftraggeber, die wir als Verband vertreten dürfen. Dabei sind wir im ständigen Kontakt mit den Marktplayern und versuchen die Rahmenbedingungen im Interesse der Werbekunden zu beeinflussen. Mit diesem Netzwerk und unseren Aktivitäten lassen sich somit die meisten Anliegen im guten Einvernehmen lösen.
Welchen Stellenwert nimmt mittlerweile KI bei den Werbeauftraggebern ein?
Ehrler: KI hat gerade für die Werbebranche eine fantastische Zukunft und damit einen sehr hohen Stellenwert. Von Analyse, Strategie, Konzeption, Kreation, Umsetzung, Personalisierung bis zum Controlling kann KI in vielen Prozessen zur Effizienzsteigerung beitragen. Deshalb war unser Verbandsmotto im letzten Jahr auch «The AI-Revolution», und dieses Jahr haben wir mit «Next Gen Marketing» nachgesetzt. Kurz gesagt: Ohne KI geht bald nichts mehr …
Wenn Sie einen Geburtstagswunsch äussern könnten, was wäre das?
Harlacher: Dass Roland Ehrler bald die 750 Mitglieder erreicht (lacht). Und wenn es dann noch etwas ernsthafter sein sollte, wünsche ich mir, dass unsere Mitglieder auch in Zukunft zu uns sagen: Merci, dass es euch gibt.
Ehrler: Ich wünsche mir insbesondere von den internationalen Plattformen noch eine bessere Zusammenarbeit und mehr Verständnis für nationale Anliegen. Sei es bei der Mediaforschung, der Werbestatistik oder Institutionen wie der Lauterkeitskommission. Wer viel Werbegeld mit Schweizer Kunden verdient, sollte sich auch entsprechend mehr im Land engagieren.
Das Interview ist zuerst in der aktuellen persönlich-Printausgabe erschienen.