Herr Puntas, das True Story Festival findet zum vierten Mal statt. Ist die Veranstaltung bereits ein Selbstläufer geworden?
Überhaupt nicht. Wir sind 2019 als Reportagen-Festival gestartet. Wegen der Pandemie setzten wir drei Jahre aus. Danach folgte zunächst eine sehr kleine Veranstaltung, bei der wir lediglich den True Story Award verliehen. Erst im letzten Jahr organisierten wir ein richtiges Festival, das nun noch grösser wird.
Der Kern der Veranstaltung bleibt der True Story Award, mit dem Sie die besten Reporterinnen und Reporter aus aller Welt nach Bern holen. Dieser Preis ist auch ein Spiegel des globalen Journalismus. Welche Trends erkennen Sie?
Es gibt viel mehr investigativen, recherchierten Journalismus. Das hat mit der politischen Weltlage zu tun. In vielen Ländern sind die Probleme dringender geworden und haben sich zugespitzt. Auffällig ist auch, dass Daten eine grössere Rolle spielen. Das ist inzwischen der Ausgangspunkt für viele Recherchen. Auch erhalten wir mehr Einreichungen von Teams. Zudem gibt es mehr Recherchen, die sich über einen längeren Zeitraum, teils über mehrere Jahre erstrecken. Die klassische Reportage, bei der eine Journalistin beispielsweise nach Timbuktu fliegt, dort den Menschen zuhört und dann eine packende Geschichte schreibt, ist zwar nicht ganz verschwunden, aber rückläufig.
«Die meisten Journalistinnen und Reporter, die in diesem Genre tätig sind, kennen unseren Preis»
Die Qualität eines Preises bemisst sich auch immer an der Anzahl der Einreichungen. Wie sieht die Ausbeute in diesem Jahr aus?
Die meisten Journalistinnen und Reporter, die in diesem Genre tätig sind, kennen unseren Preis. Das liegt daran, dass die Vorjurys der zwölf Preiskategorien vor Ort mit den lokalen Szenen vertraut sind. Es sind meistens Dozenten, ehemalige Reporter, die einen gewissen Namen haben und wahnsinnig gut vernetzt sind. Wenn sie einen Post auf Instagram veröffentlichen, können wir davon ausgehen, dass jeder Journalist im dortigen Land vom Preis erfährt.
Welche Rolle spielt die Schweiz als Austragungsort?
Das ist ein wichtiger Faktor. In vielen anderen Ländern würde man darüber schmunzeln, wenn dort ein True Story Award stattfände. Swissness ist ein wichtiges Label für unseren Preis. Und natürlich Bern als Veranstaltungsort. Von den 36 Nominierten erhalten zwar nur drei einen Preis. Aber alle sind vier Tage auf unsere Kosten nach Bern eingeladen. Sie werden hier mit Ausflügen, Zusammenkünften und kulinarischen Erlebnissen verwöhnt. Und sie werden vernetzt – untereinander und mit Schweizer Journalisten. Und das ist ein Soft-Faktor, der extrem viel wert ist. Das Feedback von den Journalisten, die schon in Bern waren, ist einmalig. Das ist fast mehr wert, als den Preis zu gewinnen.
Inwiefern lockt das Preisgeld?
Der Gewinner erhält 20'000 Dollar, aber das ist nicht exorbitant und reiht sich ein in die Beträge anderer Preise wie Pulitzer in den USA oder Albert Londres in Frankreich.
«Ich finde die chinesische Art bemerkenswert, Zensur zu umgehen»
Ohne einem Entscheid vorgreifen zu wollen: Welche für den Preis nominierten Arbeiten stechen in diesem Jahr besonders heraus?
Vielleicht die Chinesen: Obwohl es starke Einschränkungen gibt im Land und Medien längst nicht alles publizieren können, haben sie es geschafft, Zensur zu umgehen mit Metaphorik und Anspielungen, ähnlich wie das tschechische Theater in der Sowjetzeit. Jetzt liest man chinesische Reportagen und denkt: «Krass, was die eigentlich alles sagen, ohne es zu sagen.» Ich finde die chinesische Art bemerkenswert, Zensur zu umgehen und doch die Sachen beim Namen zu nennen.
Wie geht das konkret?
Letztes Jahr war Yinmi Yao in Bern, eine tolle Journalistin aus Peking. Wenn man ihr zuhört, ist es faszinierend, wie sie genau weiss, wo sie Gas geben darf und wo sie bremsen muss. Die hat zum Beispiel den Modekonzern Shein auf eine Art und Weise kritisiert, wo ich dachte: «Wow, wie geht das? Kann sie überhaupt noch zurückfliegen oder wird sie am Flughafen abgeführt?» Und dann sagt sie mir: «Das ist nur eine Firma.» Diese Aussage sagt auch: Alles, was die Kommunistische Partei und die Politik betrifft, ist tabu. Aber sonst können Medien relativ frei recherchieren.
Aber Partei und Regierung kontrollieren genau, dass sich die Medien an diese unausgesprochenen Regeln halten. Haben chinesische Journalisten schon Probleme bekommen wegen ihres Auftritts in Bern?
Probleme nicht, aber es verunsichert natürlich schon, wenn ein chinesischer Journalist auf der Bühne steht und in der ersten Reihe im Publikum sitzen drei Landsleute, von denen er genau weiss, dass sie von der Botschaft sind. Diese müssen gar nichts unternehmen. Die sitzen einfach da in ihrer Beamtenkleidung, so dass man sie als Botschaftsangestellte erkennt. Und damit haben sie bereits eine gewisse Einschüchterung bewirkt. Dagegen können wir nichts unternehmen. Wir können niemandem verbieten, einen öffentlichen Anlass zu besuchen.
«Grundsätzlich ist alles gleichgeblieben beim Festival, wir haben nur Kleinigkeiten angepasst»
Die Journalistinnen und Reporter aus aller Welt werden ihre Arbeiten im Rahmen des Festivals einem interessierten Publikum vorstellen. Gibt es Neuerungen gegenüber letztem Jahr?
Grundsätzlich ist alles gleichgeblieben. Wir haben nur Kleinigkeiten angepasst. Das Speed Dating hat nicht gut funktioniert. Darum verzichten wir darauf. Dafür haben wir ein anderes Format ins Programm aufgenommen: «Journalismus live on stage». Hier erzählen sieben Leute auf der Bühne ihre Geschichte. Es gibt eine anderthalbstündige Präsentation. Die 250 Plätze sind schon fast ausverkauft. Die 45 Veranstaltungen werden alle von Schweizer Kollegen und Kolleginnen moderiert. Und da haben wir eine ausgezeichnete Rückmeldung aus der Branche erhalten. Alle, die wir angefragt haben und die schon mal dabei waren, haben zugesagt.
Was will das Festival vermitteln?
Wir zeigen auf hoffentlich spannende und unterhaltsame Weise, wie Journalisten heute arbeiten. Der Kontext von Fake News und nicht mehr zu wissen, was man glauben kann und was nicht, schwebt über uns allen. Die Unsicherheit und Verunsicherung gegenüber Journalisten geht uns alle an. Wenn wir nun zeigen können, wie jemand in China oder in Afrika arbeitet, dann vermittelt das einen Eindruck von Authentizität. Im Idealfall hilft unser Festival, das Vertrauen in den Journalismus zu stärken.
Der Eintritt zu den Veranstaltungen ist neu kostenfrei – oder man kann einen freien Betrag spenden. Bisher kosteten sie 10 Franken Eintritt. Geht diese Rechnung auf?
Ich kann heute schon sagen, dass wir dieses Jahr die Einnahmen vom Publikumsbereich gegenüber letztem Jahr egalisieren oder sehr wahrscheinlich sogar übertreffen werden – obwohl es eben kostenlos ist. Die Bereitschaft zu zahlen, ist insgesamt grösser, wenn man es den Leuten selbst überlässt, welchen Betrag sie auswählen können, als bei einem Fixpreis. Ein Teil unseres Publikums zahlt auch gerne mal 100 Franken im Sinn einer Spende.
«Die Stiftungen unterstützen uns aus einer gesellschaftlichen Verantwortung heraus»
Den Grossteil des Budgets decken Beiträge von Stiftungen. Dabei handelt es sich massgeblich um Stiftungen mit dem Zweck der Unternehmensförderung. Was ist deren Interesse, ein Journalismusfestival zu unterstützen?
Diese Stiftungen sehen genau, wie der Zustand der Medien allgemein und in der Schweiz ist. Sie unterstützen uns zum einen aus einer gesellschaftlichen Verantwortung heraus, um den Journalismus zu stärken. Andererseits verbinden sie mit ihrer Unterstützung auch unternehmerische Erwartungen an uns als Organisatoren, dass wir das Budget im Griff haben und haushälterisch mit den Mitteln umgehen. Wir sind da sehr streng und geben das Geld nicht einfach aus, nur weil wir es haben.
Profitieren Sie dabei von Ihrer beruflichen Vergangenheit im Bankwesen?
Damit hat das nicht direkt zu tun. Ich war Devisenhändler in den Achtzigerjahren in New York – eine verrückte Zeit. Aber ich kann schon mit Zahlen umgehen. Das habe ich auch mit dem Magazin Reportagen gelernt. Dabei achte ich auch darauf, dass möglichst viel Geld in den journalistischen Inhalt fliesst und möglichst wenig in den administrativen Overhead. Am Ende geht es um eine einfache Milchbüchlein-Rechnung und ein vernünftiges Vorgehen.
Gehört zu dieser Vernunft auch, dass das Magazin Reportagen und das Festival und der Award operativ voneinander getrennt sind?
Genau. Die erste Ausgabe hiess ja noch Reportagen-Festival. Da kam von den Geldgebern und aus der Öffentlichkeit der Vorwurf, dass man das als Marketing-Veranstaltung für das Magazin sehen könne. Wir haben gemerkt, dass es besser ist, die beiden Bereiche zu trennen. Wir sind jetzt Medienpartner, wie auch Swissinfo, die schon letztes Jahr dabei waren. Neu ist auch die NZZ dabei. Je mehr Medienpartner, desto besser, weil das beweist, dass die Schweizer Medien unsere Idee weitertragen.