Frau Wille, Ihr Namensvetter General Wille ist vor genau hundert Jahren verstorben, Sie sind seit über hundert Tagen Generaldirektorin der SRG. Liegt eigentlich die General-DNA im Namen?
(Lacht.) Unsere Familie ist nicht mit General Wille verwandt, obwohl wir gleich heissen.
Aber General bleibt General …
Ich glaube, der Begriff Generaldirektor – oder in meinem Fall Generaldirektorin – wirkt in der heutigen Zeit eher veraltet und entspricht auch nicht meinem Führungsverständnis für ein modernes Medienhaus. Der Lift bei der SRG ist übrigens noch mit «Generaldirektor» angeschrieben. Die Probleme, die wir heute zu bewältigen haben, sind so komplex, dass es vermessen wäre zu glauben, eine einzelne Führungskraft habe alle Antworten darauf. Ich lege vielmehr Wert auf kluge, klare, tragfähige und gemeinsame – und weniger auf generalstabsmässige diktierte – Entscheidungen. Für die Mitarbeitenden bin ich Susanne und nicht die Frau Generaldirektorin.
Sie sind nun hundert Tage im Amt. Was hat Sie bei Ihrer Tätigkeit am meisten überrascht?
Nicht überrascht, eher bestätigt hat mich, dass bei dieser Aufgabe alles zusammenkommt, wofür ich brenne: Transformation, Digitalisierung, Medien, Politik und Schweiz. Ich freue mich, in dieser Mischung zu gestalten und etwas bewegen zu können. Für mich ist die SRG das Unternehmen meines Lebens, ich arbeite sehr gerne hier.
«In Zeiten der Veränderung sind Transparenz und Klarheit zentral»
Bereits an Ihrem ersten Arbeitstag als Generaldirektorin verkündeten Sie die «grösste Transformation in der SRG-Geschichte».
Ich meine damit, dass der Transformationsprozess in dieser Form neu ist für das Unternehmen. Wir müssen die SRG für die Zukunft stärken und haben gleichzeitig den Auftrag, zu sparen. Die Senkung der Medien-abgabe, steigende Preise und rückläufige Einnahmen aus der Werbung bedeuten für uns, bis 2029 270 Millionen Franken einzusparen. Das ist eine Budgetreduktion von rund 17 Prozent. Das kann nicht einfach durch ein paar Massnahmen eingespart werden. Ich stand am ersten Tag vor der Herausforderung, ob ich diese Zahl allen Mitarbeitenden kommunizieren soll oder nicht. Ich habe mich für Ersteres entschieden, und ich glaube, das war richtig, weil Transparenz und Klarheit in Zeiten der Veränderung zentral sind. Die meisten Reaktionen aus den Teams, die ich deswegen bekommen habe, bestätigten das. Mit dem Transformationsprozess «Enavant» – auf Rätoromanisch «nach vorne» – stellen wir die SRG neu auf. Damit unsere Inhalte auch künftig im Alltag der Menschen relevant sind, muss die SRG sich verändern. Das heisst, wir schauen nicht einfach die einzelnen Unternehmenseinheiten, RSI, SRF, Swissinfo etc., an, sondern wie wir als Gruppe, als SRG, aufgestellt sind. Wir prüfen die Organisation als Ganzes, die Prozesse, die Strukturen, die Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten. Wir wollen den Service public zukunftsfähig gestalten und unserem Publikum weiterhin mit einem starken und spannenden Angebot den Mehrwert bieten, den es heute schätzt. Denn bei allem, was wir tun, steht das Publikum im Mittelpunkt.
Bedeutet dies auch eine Quadratur des Kreises?
Zugegeben: Die Herausforderung ist gross – bezüglich der Höhe des Sparvolumens, des Tempos, der Tiefe der Veränderung und der Komplexität des Prozesses. Es gilt ja über alle Sprachregionen hinweg Lösungen zu erarbeiten. Dabei steht immer im Vordergrund, das Vertrauen der Bevölkerung in die SRG zu bewahren. Für einen solchen Prozess braucht es auch die Mitarbeitenden. Sie sind von Beginn weg Teil des Transformationsprozesses und bringen ihr Fachwissen und ihre Expertise ein.
«Wir haben einen sehr guten Austausch mit den Politikerinnen und Politikern»
Inwiefern sind Sie selbst in diese Abbaupläne involviert?
Wir haben bei der SRG eine Gesamtstrategie, diese setzen die Unternehmenseinheiten dann um. Selbstverständlich tauschen wir uns in der Geschäftsleitung der SRG laufend über die strategischen und programmlichen Veränderungen aus und unterstützen uns. Ich kann die Pläne von SRF und der anderen Unternehmenseinheiten gut nachvollziehen und stehe dahinter.
Wie werden Ihre Anstrengungen im Bundeshaus aufgenommen?
Die Politik gibt uns den Auftrag, zu sparen, daran halten wir uns. Dazu gehört auch, dass wir uns verändern und digitaler werden. Wir haben einen sehr guten Austausch mit den Politikerinnen und Politikern. Es geht primär um medienpolitische Themen. Sie interessiert natürlich, wie allenfalls auch die Regionen von Massnahmen betroffen sind. Was mir zudem auffällt: Wir führen auch wichtige grundsätzliche Debatten. Warum braucht es die SRG? Warum ist die regionale Verankerung, die Vielsprachigkeit der Schweiz wichtig? Warum braucht es kritischen Journalismus in Zeiten, in denen jeder und jede via Social Media kommunizieren kann? Was ich auch viel höre, ist die Frage: Wie verläuft eigentlich die Zusammenarbeit mit den privaten Medienanbietern, die in den vergangenen Jahren oftmals problematisch war?
«Wir treffen alle Entscheidung aus strategischen, unternehmerischen Überlegungen heraus»
Wie weit beeinträchtigt die Halbierungsinitiative Ihr Handeln?
Der ganze Transformationsprozess ist nicht auf die Halbierungsinitiative ausgerichtet. Wir treffen keine Entscheidungen aus politischem Kalkül. Wir müssen uns so oder so strategisch neu aufstellen und für die Zukunft rüsten. Der Bundesrat hat entschieden, die Medienabgabe schrittweise auf 300 Franken zu senken und weitere Unternehmen von der Abgabe zu befreien. Daraus resultiert neben anderen Elementen der Finanzrahmen, der eine Transformation der SRG notwendig macht.
Aber beschäftigt Sie die Halbierungsinitiative nicht?
Doch. Ich sehe natürlich, dass alle unsere Massnahmen immer mit der Halbierungsinitiative in Zusammenhang gestellt und sogleich politisch gewichtet werden. Es wird kritisiert, dass wir bestimmte Entscheidungen nur fällten, um entweder Gegner aufzurütteln oder Befürworter zu besänftigen. Dieser Eindruck ist falsch. Wir treffen alle Entscheidung aus strategischen, unternehmerischen Überlegungen heraus.
Wenn Sie auf die vergangenen hundert Tage zurückschauen, was war Ihr grösster Lernpunkt?
Es war eher eine Bestätigung dessen, was mich jeden Tag auch antreibt. Ich gebe ein Beispiel: Beim Lauberhornrennen besuchte ich die TV-Produktion, als Marco Odermatt einen fulminanten Sieg feierte. Nach dem Rennen bin ich noch mit dem Regisseur der Sendung zusammengesessen. Als ich ihn fragte, ob er bei einem solchen Grossanlass, bei welchem sich über eine Million Zuschauer live zuschalten, nervöser sei, mehr Angst vor Schnitt- oder Tonfehlern habe, schaute er mich erstaunt an und meinte nur: «Warum soll ich nervöser sein? Es ist meine Aufgabe, jeden Tag die besten Bilder und Eindrücke zu vermitteln.» Dies machte mir einmal mehr klar, wie sehr unsere Mitarbeitenden für unser Publikum da sind, eben jeden Tag, und sich mit ihrer Arbeit identifizieren, hochmotiviert und professionell. Es muss unser Ziel sein, es muss mein persönliches Ziel sein, dass sie weiterhin täglich einen guten, den bestmöglichen Job fürs Publikum machen können, auch wenn die unternehmensweite Transformation und die politische Diskussion alle fordern.
Das ausführliche Interview mit Susanne Wille ist in der persönlich-Printausgabe vom März erschienen.
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02.04.2025 07:39 Uhr