Die historische Analogie ist ebenso augenfällig wie erschreckend: Radio Beromünster war im Zweiten Weltkrieg – neben BBC World – die beste unabhängige Informationsquelle in den besetzten Gebieten ganz Europas. Mit legendären Sendungen wie der «Weltchronik» fungierte der Schweizer «Landessender» als grenzübergreifende Gegenstimme zu Hitlers menschenverachtendem «Volksempfänger», aber auch als Zentralorgan der geistigen Landesverteidigung und wurde so in den 1930er-Jahren zur Keimzelle der SRG.
Angesichts der damaligen Bedrohungslage für die Schweiz als südliche Nachbarin der Nazis forderten die Vorgänger:innen von Nathalie Wappler und Susanne Wille zusätzliche staatliche Mittel zur Finanzierung ihrer Programme. Begründet wurde der vom Bundesrat umgehend bewilligte Antrag damals laut NZZ mit der «herausragenden Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bei der Vermittlung schweizerischer Identität, regionalen Eigenheiten und unseren gemeinsamen Idealen wahrer Demokratie».
Heute verlaufen die medienpolitische Diskussion und die daraus abgeleiteten Massnahmen genau umgekehrt. Einerseits ist da der vorauseilende Gehorsam des aktuellen Führungsduos gegenüber dem rechtspopulistischen Frontalangriff auf den journalistischen «Service public»: Obwohl der No-Billag-Humbug beim Stimmvolk vor fünf Jahren krachend (mit 71,6%!) scheiterte, streichen Wappler und Wille wegen der auf genauso tönernen Füssen stehenden «Halbierungsinitiative» ihr Informationsangebot kontinuierlich zusammen. Wobei das eigentliche Übel ein Bundesrat ist, der die SRG schon im Vorfeld der Abstimmung zur Einsparung von 270 Millionen Franken verdammt hat. Als wäre das nicht schon katastrophal und kurzsichtig genug, empfahl der «Gaillard-Bericht» letzten September über 60 zusätzliche Aktionen zur Budgetreduktion, darunter auch der Verzicht auf jene knapp 19 Millionen, die der Bund bislang jährlich zum internationalen Angebot der SRG beigesteuert hat.
Diese Ankündigung alarmierte vor allem die wachsende Gemeinde der Auslandschweizer:innen, für die Swissinfo seit 25 Jahren eine «unerlässliche Informationsbasis» zur politischen Meinungsbildung und demokratischen Teilhabe bildet. Angesichts inflationärer Propaganda und Fake News, auch über Vorgänge in der Schweiz, ist Swissinfo zudem eine Garantin für Qualitätsjournalismus «made in Switzerland». Schockiert über die geplante Amputation des Auslandsdienstes zeigte sich aber auch die Mediengewerkschaft SSM. Dies nicht zuletzt, weil der Kahlschlag etwa 100 Festangestellte und nochmals so viele freie Mitarbeitende den Job kosten und damit die (auch für politische Akteure wie NGOs) folgenschwere Schweizer Medienkrise ohne Not weiter verschärfen würde.
Neben Bundesbern muss auch die Schweizer Wirtschaft um einen wichtigen Kanal für ihre Präsenz und Positionierung in jenem Ausland fürchten, wo sie traditionell den allergrössten Teil ihrer Wertschöpfung erzielt. Über unsere multinationalen Pharma-, Finanz- und Rohstoffkonzerne berichtet Swissinfo wegen ihrer internationalen Bedeutung sogar in einem eigenen «Beat», was auch die vielen für diese Global Player in der Schweiz arbeitenden Expats schätzen. Ob trotz oder wegen der dort gelegentlich zitierten Recherchen und Analysen von Public Eye und anderen NGOs ist unklar.
Besondere Aufmerksamkeit geniesst bei Swissinfo auch der politische Hauptexportartikel der Schweiz: die direkte Demokratie. Seit 2015 wird darüber in einer eigenen Rubrik berichtet. Dort werden nicht nur brandaktuelle Entwicklungen analysiert (z.B. «Warum die AfD für unsere direkte Demokratie schwärmt»), sondern auch grundlegende demokratische Instrumente und Prozesse erklärt. Auf dem Hintergrund der jüngsten Herausforderungen für die westliche Wertegemeinschaft und der Tatsache, dass heute schon mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung in lupenreinen Diktaturen lebt, ist diese publizistische Pionierleistung allein schon absolut förderungswürdig.
Denn damit erfüllt Swissinfo nicht nur den öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag, sondern inspiriert auch zahllose zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für mehr politische Teilhabe und Transparenz in ihren Ländern engagieren. Speziell im globalen Süden geniesst Publizistik aus der neutralen Schweiz nämlich eine besonders hohe Glaubwürdigkeit. All jene Menschen und NGOs, die in autoritären Staaten für Freiheitsrechte und Fortschritt kämpfen, sind deshalb eine zentrale Zielgruppe des internationalen Arms der SRG. Mit seinem Fokus aufs internationale Genf, das von Schweizer Leitmedien häufig vernachlässigt wird, stärkt Swissinfo aber auch die in der «Hauptstadt der Menschenrechte und des Friedens» besonders aktive Schweizer Zivilgesellschaft.
Am Vorabend des letzten Weltenbrands, genauer 1931, erkannte und nutzte der Bundesrat die Funktion und Verantwortung von Radio Beromünster und machte aus dem Landessender schrittweise ein Leuchtfeuer der Demokratie. Jetzt stehen die geopolitischen Zeichen wieder auf Sturm, doch Bundesbern zückt statt der Geldbörse völlig unverständlicherweise den Rotstift. Dabei gelte es auch, jenen elementaren Fortschritt zu schützen, der zwischen damals und heute liegt: die nach (und wegen) dem Zweiten Weltkrieg entstandene Zivilgesellschaft als Garantin von Freiheit, Solidarität und politischer Partizipation. Deshalb gilt für die noch bis 5. Mai laufende Vernehmlassung zum sogenannten «Entlastungspaket», unter dem die skandalöse Sparaktion läuft, das Motto «Rettet Swissinfo».
Oliver Classen ist seit über zehn Jahren Mediensprecher der NGO Public Eye. Davor arbeitete er als Medienredaktor für die Werbewoche und war Journalist bei Handelszeitung und Tages-Anzeiger.
Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.
BLOG
Gegen eine Amputation des Auslandsdienstes