BLOG

Wallraff vom Leutschenbach

Das Leben schreibt die schönsten Geschichten. Eine Binsenweisheit. Allein schon deswegen ist es schade, dass das Schweizer Fernsehen auf eine eigene Gerichtssendung verzichtet; Chefredaktor Ueli Haldimann und die «Kassensturz»-Leitung haben indes praktische Erfahrung, wie man sich hinter den Gerichtsschranken fühlt. Vor wenigen Tagen wurde Haldimann vom Zürcher Obergericht strafrechtlich verurteilt, da er ein «Kassensturz»-Team ermunterte, einen nicht ganz koscheren Versicherungsvertreter mit versteckter Kamera beim Verkauf einer Police zu filmen. Rückblickend gesehen: heroisch gemeint, blöd gelaufen. Noch dümmer, dass Haldimann diese Woche wegen des Gebrauchs der versteckten Kamera nochmals vor dem Zürcher Bezirksgericht antraben musste. In diesem zweiten Fall ermutigte der selbst ernannte Wallraff vom Leutschenbach ein «Kassensturz»-Team, einen – zugebenermassen umstrittenen – Schönheitschirurgen zu filmen, als dieser einer ehemaligen Miss Argovia, die angeblich ihre Oberweite vergrössern wollte, die Brüste abtastete. Für Haldimann eine sittenwidrige Handlung, die er seinem Publikum trotzdem nicht vorenthalten wollte. Wahrer Service public. Für den busentechnisch weniger bewanderten Laien stellt sich trotzdem die Frage, wie ein Arzt eine Brust operieren soll, die er nicht kennt? Eine Anmerkung sei erlaubt: Möglicherweise versteckt sich auch nicht hinter jedem mit versteckter Kamera gefilmten Ereignis ein neues Watergate. Und manchmal gibt es sogar Menschen, die vor Leutschenbachscher Investigationsgier geschützt werden müssen. Für das Schweizer Fernsehen kein Problem: Notfalls – so die Praxis – ziehe man missbeliebige Urteile auf Kosten der Gebührenzahler bis Strassburg weiter. Eigentlich ein Fall für den «Kassensturz».
Kommentar wird gesendet...

KOMMENTARE

Kommentarfunktion wurde geschlossen