06.12.2010
Matthias Ackeret
Das Ergebnis war banal: Die Medienagenda, so stellten zwei Kommunikationsforscher 1972 fest, beeinflusst auch diejenige des Publikums. Oder profaner ausgedrückt: Was in den Zeitungen dominiert, beschäftigt den Stammtisch. Die Rede ist von der berühmten Chapel-Hill-Studie, die in der amerikanischen Ortschaft Chapel Hill während der US-Präsidentenwahlen erhoben wurde. Untersucht wurde dabei die Gewichtung der Wahlkampfthemen.
Weitaus interessanter, aber ernüchternder für unsere Branche ist der zweite Teil der Studie. Zwar setzen die Medien die Themen, auf die Meinungsbildung ihres Publikums haben sie aber keinen Einfluss. Das letzte Wochenende war dafür handfester Beweis. Obwohl praktisch alle Medien gegen die SVP-Ausschaffungsinitiative votierten, wurde diese deutlich angenommen. Das Gleiche passierte bereits vor einem Jahr bei der Minarett- und viel früher bei der EWR-Abstimmung. Fazit: Die Meinung der Zeitungen ist zwar frei, diejenige der Leser indes noch freier.
Mit den Kommentaren ist es also wie mit den Inseraten, man weiss nicht, welche 50 Prozent wirkungslos und welche 50 Prozent etwas bewirken. Tröstlich sind die Chapel-Hill-Erkenntnisse aber auch für die wehleidigen Basler; selbst der geballte Aufmarsch von Tettamanti, Somm, Blocher und Robinvest kann den «BaZ»-Leser nicht von seinem linksliberalen Kurs abbringen. So wenig sich das Publikum von ihren Medien beeinflussen lässt, so wenig verstehen die Medien manchmal ihr Publikum. «Fatale Sehnsucht nach Idylle», bilanzierte der «Tages-Anzeiger», «Betriebsunfall unserer direkten Demokratie», so die Aargauer Zeitung. «Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?», schrieb Bertolt Brecht 1953 nach den DDR-Arbeiterunruhen. Manchmal gilt das auch für unsere Zeitungen und ihre Leser.
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