Fast glaube ich, noch zu träumen, als ich am Samstagmorgen Radio SRF 2 Kultur höre. Im «Wissenschaftsmagazin» tönt es nämlich so: «Was Sie jetzt hören, gibts nicht mehr lange.»
Das einzige Deutschschweizer Wissenschaftsmagazin am Radio werde 2026 eingestellt, die dazugehörige Redaktion um bis zu ein Drittel abgebaut, sagt Redaktorin Katharina Bochsler ins Mikrofon. Das habe für viele Reaktionen gesorgt, sagt ihr Kollege im Studio, Christian von Burg.
Was folgt, ist in der Medienlandschaft wohl einzigartig. Sieben Minuten lang ist der Beitrag der beiden. Sie lassen darin Forschende verschiedener Disziplinen zu Wort kommen, lassen auch SRF selbst Stellung nehmen, schauen sich die Studienlage, mit der der Sender den Abbau teils begründet, kritisch an. Der Ton ist gewohnt sachlich, einladend.
«Mutig», denke ich, dass sich zwei Journalistinnen und Journalisten trauen, den Entscheid des eigenen Senders auf dem eigenen Sender derart schonungslos zu durchleuchten.
Denn während dieser Beitrag am Vormittag auf SRF 2 Kultur läuft, häuften sich auf der Plattform LinkedIn Voten verschiedener Personen, deren Kommentare gelöscht wurden – und zwar unter Posts von SRF-Mitarbeitenden, die den Abbau ihrer Redaktion kritisiert hatten. Auch mein Kommentar wurde so gelöscht, neben Hunderten anderen.
SRF hat gegenüber persoenlich.com mittlerweile bestätigt, dass die Mitarbeitenden die Posts nach Gesprächen mit Vorgesetzten gelöscht hätten. Das grenzt an Zensur und ich kann mir vorstellen, dass ich eher ungern zu so einem Gespräch gegangen wäre.
Überraschend kommt dieser Vorgang leider nicht. Denn sind wir ehrlich: Wir alle wissen, dass es heikel sein kann, Kritik gegenüber dem eigenen Medienunternehmen zu äussern. Mit Kritik «exponiere» man sich damit, mache sich angreifbar für die nächste Entlassungsrunde – wenn man nicht bereits entlassen worden war. Wenn Letzteres, würde man mit kritischen Äusserungen potenziell zukünftige Arbeitgeber abschrecken. Niemand will «mühsame» Mitarbeitende.
Folglich haben viele Angst, Kritik zu äussern. Ich selbst habe Angst auf der Redaktion erlebt, meine eigene und die meiner damaligen Kolleginnen und Kollegen. Alle hatten wir Angst, unsere Jobs zu verlieren oder sonstigen unangenehmen Konsequenzen ausgesetzt zu sein. Die Massenentlassungen diverser Medienhäuser 2024 werden nicht dazu beigetragen haben, diese Angst zu senken.
Wehrt man sich also noch in einer solchen Situation? Stellt man an Versammlungen, an denen unerfreuliche Neuigkeiten kommuniziert werden, noch kritische Fragen? Unterschreibt man den Protestbrief? Nimmt man an der internen Protestveranstaltung teil? An der öffentlich sichtbaren? Organisiert man zum nächsten feministischen Streik nochmals eine Aktion zusammen mit Redaktionskolleginnen? Postet man etwas zu Missständen im eigenen Unternehmen online? Soll man noch den kritischen Post einer Kollegin liken, wenn man weiss, dass die Vorgesetzte das sehen könnte? Wagt man es noch, einen Vorgesetzten zu kritisieren, der einen schlecht behandelt? Soll man die Überstunden wirklich aufschreiben?
Dass sich Journalistinnen und Journalisten solche Fragen stellen müssen, ist ein Skandal. Und dass Mitarbeitende befürchten müssen, öffentlich geäusserte – legitime – Kritik zurückzunehmen, ist ebenfalls ein Skandal.
Deshalb finde ich es mutig, wie das «Wissenschaftsmagazin» nun auftritt. Diese Redaktion beweist Rückgrat, sie legt wichtige Fakten offen, ordnet ein, beschönigt nicht, lässt sich nicht einschüchtern. Sie macht ihren Job gnadenlos gut. So gut, dass es wehtut. Die Sendung ist ein Lehrstück an Mut, auch wenn sie eigentlich keines sein sollte.
Während des Hörens denke ich auch an die Branchenkolleginnen und -kollegen, die sich nicht (mehr) trauen, sich zu «exponieren». Vielleicht macht diese Sendung einigen Mut. Es wäre zu hoffen. Erwarten dürfen wir es aber nicht. Dafür ist die Lage zu düster.
Aleksandra Hiltmann schreibt als freie Autorin über Themen rund um Gesellschaft, Diversität und Balkan. Sie hat in Zürich Politikwissenschaft und Publizistik studiert.
Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.
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