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DeepSeek oder Deepfake

Als in der dritten Woche des Jahres 2025 das chinesische Start-up DeepSeek seinen KI-Assistenten öffentlich machte, wurde es zunächst wenig beachtet. Die Augen der Welt waren auf die USA gerichtet. Der 47. Präsident, der zuvor schon der 45. gewesen war, Donald J. Trump, wurde ins Amt eingeführt. Und alle Techgrössen aus dem Silicon Valley – Musk, Bezos, Zuckerberg, Gates – waren dabei.

Die DeepSeek-Erschütterung erfolgte eine Woche später an den Börsen der Welt, als die ersten Analysten das LLM (Large Language Model) des neuen AI-Tools unter die Lupe nahmen. Die Folge: Weltweit brachen die Aktienwerte der auf künstliche Intelligenz spezialisierten Unternehmen ein. Allein der Branchenriese Nvidia notierte bei Marktschluss bei minus 17 Prozent, ein Wertverlust von 589 Milliarden Dollar, der grösste in der Geschichte der Börse für eine einzelne Firma.

Weshalb wurden Analysten und Börsenwelt so in Schrecken versetzt? Angeblich hat DeepSeek für sein KI-Modell nur 2048 H800-GPUs (also Rechenchips) von Nvidia gebraucht, was Kosten von gerade einmal 5,5 Millionen US-Dollar bedeuten würde. Können also funktionierende KI-Modelle, die bisher Milliarden für Entwicklung und Hardwarekosten verschlingen, zu einem Bruchteil des Geldes hergestellt werden? Die unglaublichen Wachstumsprognosen der in den KI-Hype involvierten Unternehmen basieren auf der Annahme der Notwendigkeit unzähliger Rechenzentren mit unzähligen Hochleistungschips und versorgt durch gigantische Energiemengen.

Ein System, das ähnliche Qualität mit viel weniger Aufwand produzieren könnte, würde somit alle Prognosen unterminieren und die erwarteten Umsätze in den kommenden Jahren drastisch schmälern. Folgerichtig brachen neben dem Kurs von Nvidia auch die Kurse etlicher anderer KI-Unternehmen ein, darunter jene von ASML (–10%), TSMI (–13%), Broadcom (–14%) und zahlreichen anderen Energieunternehmen wie Siemens Energy (–20%).

Schnell kamen aber die ersten Zweifel an der Darstellung der Chinesen auf. Der CEO von Scale AI, der chinesischen Mutterfirma von DeepSeek, Alexandr Wang, sagte in einem Interview, dass DeepSeek in Wahrheit etwa 50 000 Nvidia-H100-GPUs im Einsatz habe. Er könne nur nicht darüber sprechen, weil der Import nach China sanktioniert sei.

Die Vermutung festigte sich, dass Nvidia-GPUs über das nicht sanktionierte Singapur nach China gelangten. Später diese Woche berichtete OpenAI der «Financial Times», dass DeepSeek zudem Datensätze ihrer KI gestohlen habe, was kurz darauf von Microsoft und dem in der Trump-Administration zuständigen sogenannten «Crypto Czar» David Sacks weiter untermauert wurde. Ist DeepSeek also ein Deepfake?

Unter allen Experten scheint Einigkeit zu herrschen, dass der DeepSeek-Algorithmus voller Innovationen steckt. Er hat etwa die Fähigkeit der «Destillierung», der Unterteilung von Anfragen anhand ihrer Themengebiete, was die notwendige Rechenleistung stark verringert; so können die Kosten drastisch gesenkt werden. Es ist also plausibel, bei DeepSeek von einem Sputnik-Moment bezüglich künstlicher Intelligenz zu sprechen, denn das bisherige Rennen um die Führung in dieser Technik spielte sich ausschliesslich in den Vereinigten Staaten ab.

Der Wettlauf um die Vorherrschaft bei künstlicher Intelligenz hat erst richtig begonnen. Im Februar 2025 verkündete Alibaba, das chinesische Pendant zu Amazon, dass es KI-Modelle entwickelt habe, welche wiederum DeepSeek überlegen seien. Dies deutet darauf hin, dass die Nachfrage nach Chips, GPUs und anderer für die KI nötiger Technik sich nicht verringern wird, selbst wenn die Kosten kleiner werden. Die Nachfrage wird vergrössert, und der Microsoft-CEO Satya Nadella weist auf das «Jevons-Paradoxon» hin, das besagt, dass technischer Fortschritt, der die effizientere Nutzung eines Rohstoffs erlaubt, letztlich zu einer erhöhten Nutzung dieses Rohstoffs führt, anstatt die Nachfrage zu senken. Die KI-Revolution schreitet weiter voran, und ihr Einfluss auf die Gesellschaft kann wahrscheinlich nur mit der Erfindung des Internets in den frühen 1990er-Jahren des letzten Jahrtausends verglichen werden.

Die führenden Nationen in dieser Technik werden über Jahrzehnte von ihrer Dominanz profitieren. Die USA haben OpenAI mit ChatGPT, Google mit Gemini, Musk mit Grok und Meta mit Llama, China hat DeepSeek, und Alibaba hat Qwen. Und Chinas Millionen pfiffiger junger Entwickler haben bestimmt noch eine Menge mehr Innovation in der Pipeline. Und Europa? Schaut wieder mal nur zu. Europa hat das Internet zum Grossteil verpasst, liegt in der E-Mobilität im Hintertreffen, und Europa scheint auch beim Thema autonomes Fahren abgehängt. Da ist es vielleicht nur konsequent, es in Sachen KI gar nicht erst zu versuchen. Die Zukunft wird längst woanders gemacht. Zum Glück können wir wenigstens in die Zukunftstechnologien investieren.


P. B.W. Klemann ist Schriftsteller (Münster-Verlag, die historischen Romane «Rosenegg» und «Geschichten aus Alana» aktuell im Handel) und Investor bei MK 27 Beteiligungen.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

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