BLOG

Die Qual der Wahl

«Simple doesn’t mean easy», sagte die italienische Kochlegende Marcella Hazan einst über die Kunst der Küche. Was für die besten italienischen Gerichte gilt, trifft auch auf die Gestaltung von Produkten und Angeboten zu: Die einfachsten Lösungen sind oft die besten, aber eben nicht die leichtesten.

Marketers und Kundenerlebnisverantwortliche stehen heute vor einem Dilemma, das der renommierte Psychologe Barry Schwartz treffend als «Paradox der Wahl» bezeichnet hat. In seinem Klassiker argumentiert Schwartz, dass ein Überangebot an Optionen, entgegen der gängigen Meinung, nicht zu mehr Zufriedenheit führt, sondern zu Überforderung, Entscheidungslähmung und letztendlich Unzufriedenheit.

Kennen Sie das Gefühl vor dem prall gefüllten Supermarktregal? Lähmung statt Kauflust? Genau so geht es vielen Kunden angesichts der schier endlosen Produktpaletten mancher Marken. Und wenn sie sich dann doch mal für etwas entschieden haben, bleibt immer der schale Nachgeschmack, dass es vielleicht doch die falsche Wahl war. Was gut gemeint war – «für jeden etwas dabei» –, kann schnell zur Pein werden.

Da überrascht es kaum, dass sich laut einer aktuellen Studie von Accenture 73% der Konsumenten von zu vielen Optionen überfordert fühlen. Noch bedenklicher: 74% haben sogar Käufe abgebrochen, weil sie sich schlicht überrumpelt fühlten. Ein Weckruf für jeden Marketer!

Doch warum tun wir uns – und unseren Kunden – das an? Oft stecken gute Absichten dahinter: Der Wunsch, jedem Kundenbedürfnis gerecht zu werden. Manchmal ist es aber auch eine bewusste Strategie, den Wettbewerbsvergleich zwischen Angeboten zu erschweren. Denken Sie nur an das Tohuwabohu der Mobilfunktarife, die oft so gestaltet sind, dass ein Vergleich fast unmöglich wird – und wie angehende Kunden nun selbst abendfüllend ausrechnen müssen, welches Angebot sich für sie rechnet. Eine Aufgabe, die viele überfordert und frustriert zurücklässt.

Die Folgen sind fatal: Kunden, die sich überfordert fühlen, treffen oft gar keine Entscheidung – oder bereuen ihre Wahl im Nachhinein. Das führt zu Frust, weniger Käufen und geringerer Kundenbindung. Kurz: Das Gegenteil dessen, was Sie als Marketers und Kundenerlebnisverantwortliche erreichen wollen.

Doch es gibt Hoffnung. Es gibt auch Unternehmen, welche die Vorteile einer simpleren, durchdachteren Angebotspalette erkannt haben. Hier ein paar Beispiele:

  • Telstra, Australiens führender Telekommunikationsanbieter, setzte mit seiner T22-Strategie ein beeindruckendes Beispiel für radikale Vereinfachung und reduzierte die Anzahl seiner Tarife von 1800 auf nur noch 20. Dies eliminierte viele Kundenschmerzpunkte und machte es Prospects erheblich leichter, passende Abo-Pläne auszuwählen. Mit diesem mutigen Schritt setzte Telstra neue Massstäbe für Klarheit und Kundenorientierung in der Branche und darüber hinaus.

  • McDonald's streamlinte, auch als Ergebnis der Covid-19-Pandemie, sein Menü und konnte so Entscheidungsprozesse beschleunigen und die Kundenzufriedenheit steigern. Der Fast-Food-Gigant erkannte, dass ein überbordendes Menü nicht nur Kunden überforderte, sondern auch die Küchenprozesse verlangsamte. Durch die Reduktion auf Kernprodukte und saisonale Specials schaffte McDonald's eine Win-Win-Situation: schnellere Bestellungen und effizientere Zubereitung.

  • Trader Joe's, die beliebte US-Supermarktkette, hat das Prinzip «weniger ist mehr» zum Geschäftsmodell gemacht. Mit einem Bruchteil der Produktauswahl konventioneller Supermärkte erzielt Trader Joe's beeindruckende Umsätze pro Quadratmeter. Der Schlüssel zum Erfolg: Eine sorgfältig kuratierte, regelmässig wechselnde Auswahl, die Kunden ein spannendes Einkaufserlebnis bietet, ohne sie mit endlosen Regalen zu überfordern.

  • Amazon, obwohl für seine schier endlose Produktpalette bekannt, nutzt ausgeklügelte Algorithmen, um die Paradox-of-Choice-Falle zu mildern. Personalisierte Empfehlungen, übersichtliche Produktvergleiche und kundenrezensionsbasierte Rankings helfen Nutzern, sich in der Fülle besser zurechtzufinden. So versucht Amazon, potenzielle Überforderung in ein stärker massgeschneidertes Einkaufserlebnis umzuwandeln.


Diese Beispiele zeigen: Weniger kann tatsächlich mehr sein. Aber wie können wir dieses Prinzip in die Praxis umsetzen?

Hier einige konkrete Empfehlungen – immer mit dem Fokus auf echten Kundennutzen statt interner Effizienzsteigerung:


1. Kennen Sie Ihre Kunden und Ihr Portfolio

  • Verstehen Sie Ihre Kunden: Nutzen Sie Datenanalyse und direkte Kundenbefragungen, um die wahren Bedürfnisse Ihrer Zielgruppe zu erkennen.

  • Verstehen Sie Ihr Portfolio: Wie viele Ihrer Angebote generieren 80% des Umsatzes? Identifizieren Sie Ihre Kernprodukte und fokussieren Sie darauf. Kunden schätzen eine überschaubare Auswahl hochwertiger Optionen mehr als ein Meer mittelmässiger Alternativen.


2. Machen Sie es einfach

  • Erleichtern Sie die Entscheidungsfindung: Gruppieren Sie Produkte sinnvoll und bieten Sie klare Orientierung. Kombinieren Sie intelligente KI-gestützte Empfehlungen mit gut gestalteten Produktfindern oder interaktiven Beratungstools.

  • Setzen Sie auf Transparenz: Bieten Sie klare, leicht verständliche Informationen zu Ihren Produkten und Dienstleistungen. Verstecken Sie keine wichtigen Details in Fussnoten. Kunden schätzen Ehrlichkeit und Klarheit, die ihnen helfen, fundierte Entscheidungen zu treffen.

  • Schulen Sie Ihr Verkaufspersonal: In Situationen, wo persönliche Beratung möglich ist, sollten Ihre Mitarbeiter in der Lage sein, Kunden effektiv durch die Optionen zu führen. Ein gut geschultes Team kann Kunden vor Überforderung bewahren und ihnen helfen, die für sie beste Wahl zu treffen.


3. Bleiben Sie am Ball

  • Testen und verfeinern Sie kontinuierlich: Experimentieren Sie mit unterschiedlichen Angebotsstrukturen und messen Sie deren Auswirkungen auf die Kundenzufriedenheit. Nur so können Sie sicherstellen, dass Ihre Vereinfachungsstrategien tatsächlich den Kundenbedürfnissen entsprechen und Ihre Proposition Experience stetig verbessern.


Die Herausforderung liegt darin, die richtige Balance zu finden: Ein Angebot, das vielfältig genug ist, um unterschiedliche Bedürfnisse zu bedienen – aber einfach genug, um nicht zu überfordern.

Nutzen Sie also die Kraft der Reduktion – und machen Sie es Ihren Kunden leichter, sich für Sie zu entscheiden. Denn wie Marcella Hazan auch schon in der Küche sagte: «What you keep out is as significant as what you put in.»

Ihre Kunden – und Ihre Erfolgsrechnung – werden es Ihnen danken.



Thomas Ruck ist Experte für kundenerlebnis-getriebene Unternehmenstransformation.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

 

Kommentar wird gesendet...

KOMMENTARE

Kommentarfunktion wurde geschlossen