Mit über 5000 Werbebotschaften werden wir heute täglich bombardiert: Willkommen in der Ära der Überkommunikation. Das durchschnittliche Gehirn ist aber wie ein vollgesogener Schwamm, der nur noch mehr Informationen aufnehmen kann, indem er bereits Vorhandenes verdrängt. Kein Wunder ist es in diesem Informationsgewitter für Marken schwieriger denn je, gehört zu werden.
Hand aufs Herz: Wie oft haben Sie schon in endlosen Meetings über die «richtige» Positionierung Ihrer Marke gebrütet? Wie viele PowerPoint-Folien mit bunten Venn-Diagrammen und vollgestopften Positionierungssternchen haben Sie erstellt? Und wie oft hatten Sie dabei das Gefühl, dass hier nur heisse Luft produziert wird?
Es lohnt sich daher, einen Blick zurück auf das Konzept des Positionings zu werfen, wie es Al Ries und Jack Trout vor über 40 Jahren entwickelt haben – denn es ist heute aktueller denn je.
Aber was genau ist Positioning? Entgegen der landläufigen Meinung geht es nicht darum, was Sie mit Ihrem Produkt oder Ihrer Angebotsgestaltung machen – sondern was Sie mit den Gedanken Ihrer Prospects tun. Ziel ist es, über den richtigen Namen und die richtigen Worte Ihr Angebot in der gedanklichen Produkt- und Markenhierarchie der Menschen optimal zu platzieren. Sie verändern also nicht das Produkt, sondern dessen Wahrnehmung.
Der Grundsatz des Positionings lautet daher: Der erste Platz im Kopf des Kunden ist Gold wert. Oder wie Ries und Trout es ausdrückten: «It's better to be first than it is to be better.» Wer erinnert sich schon an den zweiten Menschen auf dem Mond? Eben.
Créneau-Strategie: Ihre Nische im Markt finden
Aber was, wenn Sie nicht der Erste in Ihrer Kategorie sind? Dann müssen Sie einen Weg finden, sich gegen die etablierte Konkurrenz zu positionieren. Hier kommt der französische Marketingausdruck «Cherchez le créneau» ins Spiel – «Suche die Nische». Es geht darum, eine einzigartige Position in den Köpfen der Prospects zu finden, die noch nicht besetzt ist.
Nehmen wir das Beispiel Volkswagen. In den 1960er-Jahren war der amerikanische Automarkt von grossen, PS-starken Wagen dominiert. VW positionierte seinen Käfer mit dem Slogan «Think small» als Alternative und eroberte so erfolgreich eine Nische. Ein ähnliches Beispiel war die berühmte Positionierung von Avis gegenüber dem Marktführer Hertz: «We're No. 2, so we try harder» – diese Positionierung nutzte die Zweitplatzierung als Stärke und schuf eine klare Differenzierung. Oder denken Sie an 7-Up: Anstatt direkt gegen Coca-Cola und Pepsi anzutreten, positionierte sich die Marke als «The Uncola» und schuf so in den Köpfen der Leute eine eigene Kategorie von Erfrischungsgetränken.
Das Prinzip ist immer das Gleiche: Finden Sie einen Aspekt, in dem Sie sich von der Konkurrenz abheben können – und machen Sie diesen zum Kern Ihrer Positionierung.
Doch Vorsicht: Die Suche nach dem richtigen Créneau erfordert oft unkonventionelles Denken. Denn wie Ries und Trout schon sagten: «Wenn alle anderen nach Osten gehen, sehen Sie, ob Sie Ihr Créneau im Westen finden können.» Das war schliesslich auch das Erfolgsrezept von Christopher Columbus – und es kann auch Ihres sein.
Hier etwas Inspiration, um Ihr eigenes Créneau zu finden:
Das Grössen-Créneau: Dieses Créneau nutzt die Grösse als Differenzierungsmerkmal – und macht aus einer vermeintlichen Schwäche eine Stärke. Das erwähnte Positioning des VW Käfers ist hier das Paradebeispiel. Im Hotelgewerbe bieten Marken wie CitizenM oder Yotel nach dem gleichen Muster bewusst sehr kleine, aber effizient gestaltete Zimmer an – ein klarer Kontrast zu traditionellen Hotels. Aber auch Mikrobrauereien haben Erfolg, indem sie sich als Gegenpol zu den grossen, massenmarkt-orientierten Brauereien positionieren. Das Gleiche gilt für Social Media Plattformen, wo Nischenplattformen wie Discord für Gamer oder ResearchGate für Akademiker ihre ganz eigenen, treuen Communities aufgebaut haben. Die Botschaft ist klar: Kleiner kann besser sein.
Das Preis-Créneau: Dieser Ansatz positioniert eine Marke in einer spezifischen Preisnische. Häagen-Dazs wird (auch) dank des höheren Preises mit besserer Qualität und höherem Genuss in Verbindung gebracht. Piaget verkörperte mit «Investieren Sie in die teuerste Uhr der Welt» gar eine extreme Premium-Positionierung. Und Migros ist der Schweizer Klassiker für eine Preis-Leistungs-Position: Kunden wissen, dass sie faire Preise bei guter Qualität erwarten, egal was sie dort kaufen.
Das Geschlechter-Créneau: Dieser Ansatz positioniert Produkte gezielt für ein Geschlecht, oft auf unerwartete Weise. Marlboro, ursprünglich eine Frauenzigarette, wurde durch den «Marlboro Man» zur führenden Männermarke. Old Spice, traditionell für Männer, erweiterte seinen Marktanteil mit der «The Man Your Man Could Smell Like»-Kampagne, die Frauen ansprach. Dove entwickelte sich von einer Unisex-Seife zu einer Frauenmarke, die auf «echte Schönheit» und weibliches Selbstwertgefühl setzt.
Das Alters-Créneau: Hier wird ein Produkt für eine spezifische Altersgruppe positioniert. Ein Beispiel ist Red Bull, das sich gezielt an junge, aktive Menschen richtet – obwohl es jedermann trinken könnte. Oder Werther's Original, das sich bewusst als Bonbon für ältere Generationen positionierte.
Es gibt viele weitere Wege, ein Créneau zu finden: Berocca nutzte das Tageszeit-Créneau, um sich als morgendlicher Energie- und Immunbooster zu positionieren, während After Eight sich als After-Dinner-Minze positioniert – obwohl beide Produkte natürlich zu jeder Tageszeit konsumiert werden könnten. Im Anlass-Créneau präsentiert sich Merci als Geschenkschokolade für Momente des Dankens, und Duracell bediente das Heavy-User-Créneau mit ihrem «Duracell-Hasen» auf legendäre Weise.
Dies sind natürlich alles nur ausgewählte Beispiele: Jedes Unternehmen muss für seine Kategorie und seine Produkte das relevante Créneau finden. Entscheidend ist dabei, dass es sich nicht um die Wunschpositionierung Ihres Managements oder Ihrer Agentur handelt, sondern um eine offene Lücke im Kopf Ihrer Prospects – und nirgends sonst. Das ist das Einzige, was zählt.
Tappen Sie aber nicht in die klassische Falle und treten Sie frontal gegen etablierte Marktführer an. Es geht hier bekanntlich um die Schlacht in der Wahrnehmung der Konsumenten, und wenn ein Mitbewerber dort einmal eine fest verankerte Position hat, dann werden Sie diese kaum einnehmen können. Cleverer ist es oft, die Konkurrenz neu zu positionieren. Oatly repositionierte tierische Milchprodukte erfolgreich mit ihrem Slogan «It's like milk, but made for humans» und Planted hat heute eine ähnliche Chance, sich im dynamischen und intransparenten Markt der Fleischalternativen als der Hersteller ohne Zusatzstoffe zu positionieren.
Positionierung in der Praxis: fünf Schritte zum Erfolg
Also, was können Sie tun, um Ihre Positionierung zu finden und zu halten? Hier einige konkrete Handlungsempfehlungen:
1. Was ist Ihre aktuelle Position?
Analysieren Sie ehrlich und gründlich, wie Ihr Produkt oder Ihre Marke derzeit im Markt wahrgenommen wird. Befragen Sie Ihre Kunden, führen Sie Marktforschung durch und seien Sie bereit, auch unbequeme Wahrheiten zu akzeptieren. Nur wenn Sie Ihre tatsächliche Position kennen, können Sie effektiv daran arbeiten, sie zu verbessern oder zu verändern.
2. Welche Position möchten Sie einnehmen?
Definieren Sie klar und präzise, wo Sie in Zukunft stehen möchten. Achten Sie darauf, dass diese angestrebte Position realistisch und erreichbar ist, aber auch differenzierend und wertvoll für Ihre Zielgruppe. Bedenken Sie dabei, dass es oft effektiver ist, eine bestehende Kategorie neu zu definieren, als zu versuchen, eine völlig neue zu erschaffen.
3. Wen müssen Sie übertreffen?
Identifizieren Sie Ihre Hauptkonkurrenten und analysieren Sie deren Positionierung. Suchen Sie nach Schwächen oder Lücken in deren Ansatz, die Sie ausnutzen können. Bedenken Sie aber, dass ein direkter Angriff auf einen etablierten Marktführer oft zum Scheitern verurteilt ist. Stattdessen sollten Sie nach Wegen suchen, das Spielfeld zu Ihren Gunsten neu zu definieren.
4. Haben Sie genügend Ressourcen?
Positionierung erfordert Zeit, Geld und Ausdauer. Seien Sie realistisch in Ihrer Einschätzung, ob Sie über die notwendigen Mittel verfügen, um Ihre gewünschte Position zu erreichen und langfristig zu halten. Es ist besser, in einem begrenzten Bereich stark zu sein, als zu versuchen, überall präsent zu sein und dabei zu versagen.
5. Passt Ihre Positionierung zu Ihrem Produkt?
Stellen Sie sicher, dass Ihre gewählte Positionierung authentisch ist und zu Ihrem tatsächlichen Angebot passt. Eine Diskrepanz zwischen Versprechen und Realität wird schnell durchschaut und kann fatale Folgen für Ihre Marke haben. Ihre Positionierung muss nicht nur in der Kommunikation, sondern in allen Aspekten Ihres Unternehmens gelebt werden.
Doch selbst wenn Sie Ihr Créneau gefunden haben, ist Ihre Arbeit noch nicht getan. Ihre Position müssen Sie laufend verteidigen, denn Konsistenz ist hier der Schlüssel zum Erfolg: Wenn Sie sich einmal für eine Positionierung entschieden haben, müssen Sie dranbleiben. Widerstehen Sie der Versuchung, Ihre Positionierung bei jedem Markttrend oder jeder Konkurrenzaktion zu ändern – Kontinuität und Beständigkeit sind entscheidend. Das ist ein Marathon und nichts für nur eine Saison.
Machen Sie sich also schleunigst auf den Weg. Denn Al Ries und Jack Trout wussten auch schon: «In positioning a product, there is no substitute for getting there first.»
Thomas Ruck ist Experte für kundenerlebnis-getriebene Unternehmenstransformation.
Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.
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Erste Geige statt zweiter Wahl