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Es geht auch anständig

Am Dienstagabend nahm sich der SRF-Club des «Falls Ameti» an. Sie denken nun: Was soll ich Tage danach noch darüber lesen? Genau darum ging es unter anderem in der Diskussion. Um Tempo in den Medien. Und was es anrichten kann. Welche Mitverantwortung haben die Medien an diesem Skandal?

Was nach den Schüssen der GLP-Politikerin auf ein Bildnis von Jesus und Maria folgte, hat man selten erlebt in diesem Land. Die Welle an Häme und Hass gegen Ameti war gewaltig und schauerlich. Ihr politisches und berufliches Leben lag innert gefühlt eines Wimpernschlags in Trümmern.

Die Medien berichten. Schritt für Schritt. Als folge man einer ungeplanten geplanten Choreografie. Auf Social Media öffnet sich eine Hölle aus sexualisierten und rassistischen Beschimpfungen. Es gibt Drohungen. Bald stehen Ameti und ihre Familie unter Polizeischutz.

Und dann ist es plötzlich schnell wieder still auf den Onlineportalen, in den Kommentarspalten und Zeitungen.

Der Club durchbrach diese Stille. Mit einer besonnenen und respektvollen Diskussion. Und einer Medienkritik, die ein Unbehagen zurücklässt.

Urs Leuthard, Leiter der SRF-Bundeshausredaktion, wies auf grundsätzlich Problematisches hin, auf zwei Tendenzen in der medialen und politischen Öffentlichkeit, die sich unheilvoll ergänzen würden.

Da sei der gefühlte Zwang, schnell zu reagieren, zusätzlich getrieben von den Sozialen Medien, wo es innert kürzester Zeit Reaktionen und Kommentare hagelt. Und wird erstmal berichtet, generiert dies umso mehr Reaktionen, über die man wiederum berichtet. Gleichzeitig müsse man sich klar positionieren. Gut. Böse. Nulltoleranz. Komme beides zusammen, werde es problematisch. «Man kann keine Verhältnismässigkeit mehr walten lassen.»

Die Basler Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter konkretisiert diese Tendenzen mit eigenen Erfahrungen. Medien würden auf Social Media einen provokativen Post entdecken. Schnell habe sie einen Journalisten am Telefon, der von ihr wissen wolle, was sie von diesem Post halte. «Oft aber weiss ich noch gar nicht, was passiert ist.»

Sie merke, wie stark die Medien unter Aktualitäts- und Klickdruck stünden. «Sagen sie niemandem etwas, ich will diese Geschichte», höre sie mitunter.

Für Politikerinnen und Politiker sei das eine schwierige Situation: Will man dabei sein, reagieren, sich mit einem Kommentar auf X positionieren? Wenn nicht, sei man nicht präsent. Denn die stille, seriöse Arbeit im Parlament werde von den Medien oft nicht erkannt. Stattdessen eben ein polarisierender Post auf Social Media, bei dem unklar sei, wie durchdacht er war.

Die hohe Geschwindigkeit in der Provokation wie auch in der medialen Reaktion auf ebendiese bereitet ihr Sorgen. «Das ist eine ungute Situation. Für die Medien, für die politisch Aktiven, für die Gesellschaft.»

Kommunikationsexpertin Barbara Schwende ergänzt passend: Wenn die Sozialen Medien massiv schneller seien als die klassischen, fürchten Letztere, ihre Deutungshoheit zu verlieren.

Und so konnte man in diesem Rennen um Klicks, Aufmerksamkeit und Deutungshoheit quasi in Echtzeit mitverfolgen, wie eine junge Frau fällt. Wohl umso schneller, waren sich mehrere Gäste einig, da es sich hier um eine junge, ambitionierte, meinungsstarke, muslimische, migrantisierte Frau handelt, die sich entschuldigt hat. Einige Medien haben diesen Fall erst gefordert oder zumindest unterstützt, um ihn nur kurze Zeit später doch noch differenzierter zu betrachten.

Urs Leuthard kritisiert diese Kehrtwenden oder wie er es nennt, «Doppelbödigkeit». Medien seien durchaus dazu in der Lage, Diskussionen, die zu eskalieren drohen, zu beruhigen. In diesem Fall sei das nicht gelungen.

Gar nicht auf Provokationen oder Vielkommentiertes reagieren? Keine gute Lösung. Denn auch dann gebe es Kritik, so Moderatorin Barbara Lüthi. 

Zurück bleibt nach diesem Club ein Unbehagen. Darüber, dass dieser Fall auf verschiedenen Ebenen komplett entglitt. Und darüber, dass wir uns wohl alle nicht sicher sind, ob es bei einem nächsten Mal anders laufen wird.

Die erwähnten Zwänge für klassische Medien bestehen weiterhin, ebenso bleiben das Tempo und der Grad an Gehässigkeit in den Sozialen Medien hoch. Dazu die Rahmenbedingungen, dass gerade Frauen in der Öffentlichkeit anders und stärker angegriffen werden als Männer.

Immerhin war die Sendung selbst ein Vorbild dafür, wie man anständig über Provokationen diskutieren kann. Und wie wichtig das ist, auch wenn der Skandal selbst «bereits» über eine Woche her ist.



Aleksandra Hiltmann schreibt als freie Autorin über Themen rund um Gesellschaft, Diversität und Balkan. Sie hat in Zürich Politikwissenschaft und Publizistik studiert.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

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