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Freude, Heimweh, Normalität, heikel?

Haben Sie Ihre Sprache schon gefunden? Bei mir hats einige Tage gedauert, bis ich mit dem Bus am polnischen Galaxus-Plakat vorbeigefahren bin.

Dieses ist Teil einer neuen Kampagne, in der der Onlinehändler Werbung in 42 Sprachen macht, für diverse Produkte wie Teppiche, Vorratsdosen oder Skibrillen. Diese werden angepriesen in Farsi, Portugiesisch, Bulgarisch, Äthiopisch, Hocharabisch, Romanes und eben auch Polnisch (persoenlich.com berichtete).

Das macht was mit mir. Im Kleinen entstehen Emotionen, im Grossen Gedanken über die Schweiz als postmigrantisches Land.

Als ich das Plakat zum ersten Mal sehe, bin ich aufgeregt. Eine meiner Muttersprachen, in grossen Buchstaben mit korrekten Sonderzeichen, an einem öffentlichen Ort in der Schweiz. Nie zuvor gesehen. Grossartig.

«Gurke czy ogórek, kisi się tak samo»: «Ob Gurke oder Gurke, sie wird auf dieselbe Weise eingelegt», sagt die Schrift über dem leeren, grossen Einmachglas. Letzteres ist kein Zufallsprodukt, sondern laut Galaxus akribisch recherchiert. Und in der Tat: Gemüse einmachen ist eine Art kulinarischer Nationalsport in Polen. Bei meinen Tanten auf den Fenstersimsen stehen regelmässig Gläser mit eingelegten Gurken. In meiner Erfahrungswelt ergibt das Plakat Sinn. Und löst Heimweh aus.

Ich denke an den Geschmack der Gurken, an die Wohnungen, in denen ich sie in Polen jeweils esse, an die Familie, die dort wohnt. Daran, dass die Verwandten alle nicht hier sind und ich nicht bei ihnen bin. Nur das Plakat mit meiner Sprache ist bei mir.

Die meisten Leute werden die polnische Werbung nicht verstehen, so wie ich die meisten anderen Plakate nicht verstehe. Alle werden bei ihren Sprachen eigene Assoziationen haben, die sich meiner Lebenswelt entziehen. Die aber im Gesamten doch etwas Gemeinsames haben. Denn sie sind alle Teil der Schweiz, und die Schweiz ist eine von mehreren Heimaten.

Die vielen Sprachen, Sonderzeichen und Schriften zu sehen, gibt mir das Gefühl, dass da ein grosses Ganzes ist, in dem all das Platz hat. Auch jene Sprachen, die hierzulande bis heute als eher nicht wünschenswert gelten und deren Sprecher:innen stigmatisiert, rassistisch beleidigt und in der Schule benachteiligt – anstatt für Mehrsprachigkeit gelobt – werden. Auf diesen Plakaten jedoch sieht man sämtliche Sprachen schön aufgemacht, an prominenten Orten hängend. Gleichwertig zu anderen Werbungen auf Deutsch.

Natürlich, Galaxus ist ein Unternehmen, nicht die Wohlfahrt. Die Firma möchte Gewinn machen. Und dabei hilft ein möglichst breites Segment an Kund:innen, die konsumieren. Zudem lassen sich die Herausforderungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens selbstverständlich nicht mit Werbeplakaten lösen.

Dennoch schafft es diese Kampagne, Diversität auf eine ungezwungene Weise zu normalisieren. Viele Menschen werden den «Schau, da ist meine Sprache!»-Moment haben. Sie sehen ihre Sprache in der Öffentlichkeit, als Teil eines Mainstreamunternehmens, das Werbung für ganz normale Produkte macht. Nicht für Diversität, Toleranz oder antirassistische Massnahmen. All das braucht es auch. Aber diese Normalisierung einer postmigrantischen Realität tut gut – kommerzieller Zweck hin oder her.

Die nächste Stufe wäre eine Kampagne, die ganz ohne spezifische kulturelle Bezüge der beworbenen Produkte auskommt. Polnische Menschen kaufen ja nicht nur Gurkeneinmachgläser, sondern auch einfach iPhones, Staubsauger oder einen Beamer. Auch sind kulturelle Bezüge mitunter heikel – was ist humorvoll, wo beginnen verletzende Stereotypen und Exotisierungen?

Meine Mutter findet die polnische Werbung toll. Wie das all die Menschen der anderen Sprachen sehen, weiss ich nicht. Wie Menschen reagieren, die von zu Hause aus gar keine anderen Sprachen sprechen, weiss ich auch nicht.

Dass in Sachen Diversität aber noch viel zu tun bleibt, steht fest. Das zeigt gleich die Kommentarspalte zum Artikel, den Galaxus über die eigene Kampagne veröffentlicht hat. Zum deutschen Begleitslogan, der unten auf den Plakaten zu lesen ist – «Fast alles für fast jede*n» – schreibt etwa User: «Gendergaga-Stern».



Aleksandra Hiltmann schreibt als freie Autorin über Themen rund um Gesellschaft, Diversität und Balkan. Sie hat in Zürich Politikwissenschaft und Publizistik studiert.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

 

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KOMMENTARE

Sylwia Kozak
27.11.2024 13:51 Uhr
Tolle Erklärung, danke Alexandra!
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