Als sich oberhalb des Walliser Bergdorfs Blatten ein Bergsturz abzeichnete, geschah das Undenkbare: Ein ganzes Dorf musste innerhalb kürzester Zeit evakuiert werden. Der Bergsturz selbst kam später – heftig und zerstörerisch. Was auffiel, war nicht nur die Naturgewalt, sondern auch die Art und Weise, wie professionell diese Krise gehandhabt und kommuniziert wurde.
Einmal mehr zeigt sich in einer Krisen- und Katastrophensituation: Das Schweizer Milizsystem, mit seinem Zusammenspiel von Behörden aller Stufen und Blaulichtorganisationen, funktioniert. An der Spitze steht Matthias Bellwald, Gemeindepräsident von Blatten. Er ist zum Gesicht der erfolgreichen Bewältigung dieser Katastrophe geworden. Seine Art der Krisenführung ist Musterbeispiel dafür, wie Kommunikation im Ausnahmezustand funktionieren kann. Die Kommunikation lief von Beginn an auf mehreren Ebenen – klar, ruhig, zielgerichtet.
Trainieren und früh bereit sein
Im Fall von Blatten fällt auf, dass die Behörden den regionalen Führungsstab Lötschental (RFS) frühzeitig initiiert hatten, als erstmals eine ernsthafte Felsbewegung erkennbar wurde. Zudem zeigte der kontinuierliche Aufbau von Unterstützungskräften (Feuerwehr, Zivilschutz, Air Zermatt, Armee), dass der Stab dynamisch hochgefahren wurde, parallel zum steigenden Gefahrenpotenzial. Dies ist nur möglich, wenn ein funktionierender und eingeübter Krisenstab bereits vor dem Eintreten der Katastrophe aktiv war und Massnahmen koordinierte. Es würde nicht überraschen, wenn der regionale Führungsstab Lötschental in der Vergangenheit regelmässige Krisenstabübung durchgeführt hätte.
Dynamische Planung und Führung
Gemeindepräsident Matthias Bellwald, pensionierter Berufsoffizier und Oberst im Generalstab, bringt Erfahrungen aus einem System mit, das die strukturierte Führungstätigkeit seit Jahrzehnten perfektioniert hat. Die Prinzipien militärischer Aktionsplanung und Lageverfolgung werden in Führungsstäben des Bevölkerungsschutzes oder der Polizei angewandt. Dies hat zur Folge, dass im Ereignisfall alle Blaulichtorganisationen dieselbe Sprache sprechen und die Abläufe bekannt, eingeübt und bewährt sind.
Bevor der Führungsstab im Lötschental Entscheide fällen konnte, mussten zuerst Informationen beschafft und die Situation analysiert werden. Erst dann konnten verschiedene Handlungsoptionen erarbeitet und bewertet werden, auf deren Basis die Behörden eine Entscheidung treffen konnten. Diese wurden in der Folge als fertige Aktionspläne ausgearbeitet und schliesslich kommuniziert und umgesetzt. Parallel dazu wurde mit einer vorausschauenden Zeitplanung und Sofortmassnahmen versucht, jederzeit maximale Handlungsfreiheit zu behalten. Während der laufenden Ausführung wird ständig kontrolliert, wie die Umsetzung des Planes läuft, wo Anpassungen gemacht werden müssen und wann und wie alternative Pläne erarbeitet und umgesetzt werden müssen.
Krisenkommunikation fördert Vertrauen und Handlungsfähigkeit
Gute Krisenmanager wissen, dass eine konzise Krisenkommunikation matchentscheidend ist: Gemeindepräsident Matthias Bellwald trat früh vor die Öffentlichkeit, noch am Abend der Katastrophe. Seine Aussagen waren ruhig, empathisch und in Bildern formuliert, die sowohl trösteten als auch Orientierung gaben. «Wir haben das Dorf verloren, aber nicht das Herz.» – Das war gelebte Verbundenheit. Er sprach nicht für sich, sondern für das Tal. Und er sprach nie spekulativ, sondern auf Basis eines präzisen Lagebilds. So gewinnt man Vertrauen.
Die geordnete Evakuierung und das disziplinierte Verhalten der Bevölkerung in Blatten sind klare Indikatoren für eine funktionierende Krisenkommunikation. Medienberichte und Experten loben die Transparenz und das Vertrauen in die Behörden. Die Erfahrung zeigt, dass vorbereitete, verständliche und empathische Kommunikation entscheidend für die Akzeptanz von Massnahmen ist.
Ein Lehrstück in Krisenführung
Was in Blatten geschah, ist eine Tragödie. Doch die Art, wie geführt und kommuniziert wurde (und immer noch wird), ist bemerkenswert. Das Milizteam des regionalen Führungsstabes Lötschental und Gemeindepräsident Matthias Bellwald beweisen, dass Empathie und Klarheit sich nicht ausschliessen. Dass Führung leise, aber bestimmt sein kann. Und dass Klarheit, Struktur und Haltung im Ernstfall Leben retten und Vertrauen schaffen.
Fünf zentrale Lehren aus Blatten für die Krisenkommunikation:
1. Frühzeitige und kontinuierliche Kommunikation schafft Vertrauen
Konsequenz: Kommunikationsverantwortliche müssen immer Teil des Krisenstabs sein – von Anfang an.
2. Klare, einfache und empathische Sprache ist entscheidend
Konsequenz: Schulungen für Führungspersonen in wirkungsvollem Spracheinsatz in Krisen sind zentral.
3. Kommunikation ist nur so glaubwürdig wie das ihr zugrundeliegende Lagebild
Konsequenz: Informationsflüsse zwischen Führung, Lageverfolgung und Kommunikation müssen klar definiert und eingeübt sein.
4. Rollenverteilung und Haltung der Führungspersonen sind entscheidend für die Akzeptanz der Massnahmen
Konsequenz: Rollen, Auftritte und Botschaften sollten im Krisenkonzept vorab vorgedacht und trainiert werden.
5. Strukturierte und eingeübte Abläufe ermöglichen auch strukturierte und effiziente Kommunikation
Konsequenz: Krisenkommunikation ist Teil des Führungsprozesses, nicht ein später Zusatz. Sie muss in Übungen mitgeplant und getestet werden.
Diese Lehren zeigen: Gute Krisenkommunikation ist keine Frage von Glück oder Begabung, sondern von Vorbereitung, Haltung und Struktur. Der Fall Blatten ist ein beispielhaftes Lehrstück dafür.
Andreas Hugi ist CEO & Managing Partner von Furrerhugi. Seine Agentur ist unter anderem auf Krisenkommunikation spezialisiert und führt regelmässig Krisenstabübungen durch.
Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.
BLOG
Klarheit, Ruhe, Führung