Sie sind mittlerweile überall anzutreffen, in allen sozialen Milieus und auf der gesamten Bandbreite der politischen Ausrichtungen und werden langsam zum Problem. Kleingeister, die jeden Tag auf jemanden zeigen und «Skandal» rufen müssen.
Das neueste Ziel heisst Sanija Ameti. Sie hat auf ein Bild von Maria und Jesus geschossen und das Ergebnis auf Instagram gepostet. Der Blick hat daraus eine Geschichte gebastelt, und das produzierte Geschrei wird nun in allen anderen sogenannten Qualitätsmedien weitergegeben (hören Sie auch unseren Podcast dazu).
Es gehe um religiöse Gefühle, heisst es. Nun, wer sich in seinen religiösen Gefühlen verletzt fühlt, darf das natürlich äussern. Er oder sie darf sich auch aufregen über die Aktion von Frau Ameti, geschenkt!
Die Öffentlichkeit muss deswegen allerdings nicht im Chor «Skandal» rufen, und vor allem sollte Frau Ameti weder von irgendetwas zurücktreten noch sich aus dem öffentlichen Leben zurückziehen müssen. Wir sind doch kein Taliban-Staat, sondern eine säkulare Gesellschaft, und als solche müssen wir derartige Aktionen aushalten. Wer wirklich religiös ist, akzeptiert die Entschuldigung von Frau Ameti, und die Sache wäre damit erledigt.
Es scheint offensichtlich: Beleidigte, konservative Männer freuen sich darauf, die verhasste, intelligente Europabefürworterin aus Bosnien loszuwerden. Es geht längst nicht mehr um Religion. Hier wird Sexismus und Ausländerinnenfeindlichkeit in Reinstform ausgelebt. Dabei kommt es manchen Kreisen gerade recht, dass sie auch noch der Operation Libero und der GLP ins Bein schiessen können. Dass aus der rechten Ecke versucht wird, aus dieser Geschichte Kapital zu schlagen, sollte uns daher nicht verwundern.
Viel schlimmer ist jedoch, dass sich die Führung der GLP Schweiz und viele vermeintlich progressive Menschen vor diesen unsäglichen Hexenverbrennungskarren spannen lassen. Sie akzeptieren das Narrativ, dass Sanija Ameti halt nicht hätte derart provozieren sollen und dass sie ja eigentlich hätte wissen müssen, dass sie derartige Reaktionen hervorrufen würde. Ja, sie erhielte nun einfach die gerechte Strafe für ihre ewigen Provokationen und für ihre Unbedarftheit.
Diese Geschichte zeigt einmal mehr, in welch bedenklichem Zustand sich unsere Gesellschaft mittlerweile befindet. Wir sind langweiliges Mittelmass, welches keine Extravaganzen mehr aushält. Jede geringste Abweichung von der Konformität wird mit Totalausschluss bestraft. Wo sind unsere humanistischen Werte geblieben? Was ist von der Aufklärung übrig geblieben? Wann haben wir unsere Neugier, Offenheit und gepflegte Debattenkultur verloren? Ist es wirklich möglich, dass die toxische Mischung aus religiösem und ideologischem Eifer unser einigermassen vernunftgeleitetes Reaktionsvermögen derart verseucht hat? Sehen wir nicht, wohin es führt, wenn wir akzeptieren, dass der Provozierte nach Vergeltung rufen darf?
Es ist Zeit, dass die Kleingeister abtreten, nicht Sanija Ameti.
Andreas Von Gunten ist Verleger und Digitalunternehmer. Er ist Co-Leiter des Fachbereichs «Meinungs- und Informationsfreiheit» der Digitalen Gesellschaft und mit seinem Verlag Buch & Netz Mitglied beim alternativen Medienverband Medien mit Zukunft. Bei Buch & Netz erscheint das Online-Tech-Magazin dnip.ch.
Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.
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17.09.2024 05:09 Uhr
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Kleingeister abtreten!