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Mit dem eleganten «Sie» Distanz wahren

Duzt ein Journalist seine Interviewpartnerin, verliert er die Kontrolle über den Journalismus. Sofort verschwindet, was in diesem Metier so wichtig ist: die Distanz. Sie ist eine Grundvoraussetzung für unabhängigen Journalismus. Ohne Distanz ist es kaum möglich, unvoreingenommen auf eine Person zuzugehen. Unvoreingenommenheit aber ist nötig, um wahrhaftig und fair zu arbeiten. Das «Sie» ist dabei ein Werkzeug, genauso wie Faktentreue oder eine präzise Sprache.

Das «Du» hingegen schafft Nähe – und Nähe birgt im Journalismus Gefahren. Schnell kann etwas zu persönlich und dadurch belanglos wirken. Mit dem «Du» fallen Hüllen, die es braucht, um respektvoll, bestimmt und selbstbewusst zu fragen. Höfliche Distanz hingegen ist kraftvoll, denn sie ermöglicht es, eindringlichere Fragen zu stellen. Und sie schützt die Interviewerin oder den Interviewer vor peinlicher Informalität oder unangemessener Intimität.

Ohnehin gilt es, dem Interview als journalistischer Form Sorge zu tragen. Schon vor Jahren haben wir ein Stück Kontrolle darüber abgegeben, indem wir uns auf die Gegenlese-Kultur eingelassen haben. Politikerinnen, Sportler oder CEOs geben Interviews, die anschliessend PR-Leute umschreiben, die uns vor dem Gespräch noch schnell das «Du» angeboten haben.

Fangen wir jetzt an, wie Blue Sport im Fernsehen Interviewpartnerinnen und -partner zu duzen, verlieren wir noch mehr Kontrolle.

Sicher, die Schweiz ist ein kleines Land – man kennt sich, trifft sich, ist sich nah. Doch gerade das fördert Kumpanei, um nicht zu sagen: Beziehungskorruption.

Unlängst beschwerte sich ein linker Nationalrat bei mir über die Du-Kultur zwischen Medien und Politik. Er versuche, Du-Angeboten von Journalisten auszuweichen. Ein Rat, den Medienschaffende beherzigen sollten, egal, ob sie über Politik, Kultur, Wirtschaft oder Sport berichten.

Fussballtrainer Christian Gross verlangte von seinen Spielern, ihn zu siezen, und siezte sie ebenfalls. Sein Erfolg gibt ihm recht.

Medien sind aktuell nicht allzu erfolgsverwöhnt. Gewinne schrumpfen, das Image und die Glaubwürdigkeit sind angekratzt. Umso mehr sollten wir uns auf traditionelle Werte unseres Handwerks besinnen: mit Fakten statt Effekten zu informieren; ausgewogene Berichterstattung und pointierte Kommentare strikt zu trennen; zu sagen, was ist, statt zu sagen, was man sich wünscht.

Und eben – respektvoll und fair Distanz zu wahren zu jenen, über die wir berichten, um Wahrhaftigkeit anzustreben.

Das elegante «Sie» ist dabei hilfreich.



Peter Hossli ist Leiter der Ringier Journalistenschule und Mitglied der Chefredaktion von «Interview by Ringier».

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion. 

 

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KOMMENTARE

Bruno Bötschi
07.12.2024 08:24 Uhr
Lieber Peter, viel wichtiger als das „elegante Sie“ ist meiner Ansicht nach Authenzität im Journalismus. Nähe bringt nur dann Gefahr, wenn ein:e Journalist:in von oben herab berichten will, etwa weil ihr/ihm die Story-Line wichtiger ist. Mit dem Siezen oder Duzen hat das nichts zu tun. Besser wäre es eine Fehlerkultur zu pflegen – und mehr Mut zur Selbstkritik täte uns allen gut.
Peter Jaeggi
06.12.2024 14:24 Uhr
Fibo Deutsch: Finde das Argument mit den "geänderten Zeiten" etwas gar dürftig und eigentlich leer. Es diskriminiert zudem den Kritisierten als Ewiggestrigen. Fakt ist: das Du schafft Nähe und schafft die im professionellen Journalismus nötige Distanz ab. Ich bleibe bei Hans Joachim Friedrichs, der einst schrieb: "Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er Distanz zum Gegenstand seiner Betrachtung hält; dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; dass er immer dabei ist, aber nie dazugehört." Als Leitsatz für Journalistinnen und Journalisten finde ich das in die Jahre gekommene Zitat noch immer wertvoll. Das Du signalisiert etwas Kumpelhaftes, es schliesst Zuhörende, Zuschauende gefühlsmässig oft aus.
Adrian Erni
06.12.2024 13:29 Uhr
Danke Fibo.
Max Röthlisberger
06.12.2024 09:25 Uhr
Bin 100 % Ihrer Meinung. Das Radio macht das ja schon eine Weile mit dem "Du". Und wo hat das hingeführt? Zwangsbespassung ohne Ende. Nicht auszuhalten.........
roland wyss-aerni
06.12.2024 08:28 Uhr
was Fibo Deutsch sagt. ?
Andreas Mohler
06.12.2024 05:42 Uhr
Schliesse mich deutlich der Meinung von Peter Hosdli an. Es stört mich massiv, wenn der Interviewte gedutzt wird. Hinterlässt mir den Eindruck von fehlender Professionalität.
Victor Brunner
05.12.2024 18:51 Uhr
SIE sichert Distanz und Unabhängigkeit, im Journalismus wichtig da liegt Hoosli richtig. Du artet in plumper Biertischkumpanei aus und schadet dem kritischen Nachfrage. Zu Deutsch: was hat das Sie mit Grussritualen, Kleidermarken und Krawatten zu tun?
Fibo Deutsch
05.12.2024 15:52 Uhr
Lieber Peter Die Zeiten und ihre Gewohnheiten haben sich geändert. Meine persönliche Meinung: Das krampfhafte Festhalten an Grussritualen oder Kleidermerkmalen ist schiere Übervorsicht, beim Verzicht auf Äusserlichkeiten nicht an seiner Überzeugung festhalten zu können. Ich muss mein Rückgrat, meine Überzeugung als Journalist nicht durch eine Krawatte oder ein krampfhaftes Sie beweisen.
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