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Montreux

Man kann es sich bei der SRG einfach machen und die Schweizer Städte bitten, Vorschläge zu unterbreiten, wo der Eurovision Song Contest stattfinden soll. Natürlich sind hier die Städte mit viel Geld verlockend, und Zürich hat gleich einmal 20 Millionen zugesagt, obwohl man an der Limmat mit der Street Parade eine eindrückliche und immer wiederkehrende Veranstaltung hat.

Man könnte von der SRG auch erwarten, dass man einen Ort aktiv sucht, der wirklich passend ist, der Symbolkraft hat und etwas ausstrahlt und bedeutet. Und hier gibt es in der Schweiz eigentlich nur eine Stadt: Montreux. Keine Stadt ist mit der internationalen Musik-Elite so verbunden und so gut gelegen wie Montreux. Mit dem touristischen Einzugsgebiet rund um den See bis hin zu Lausanne und Genf kann man Gäste aus aller Welt unterbringen, und im Convention-Saal würde man an einem historischen Ort einen musikalischen Wettbewerb durchführen. Ein Saal für 4000 Zuschauer steht bereit, Rekorde muss man ja nicht brechen.

Das Montreux Casino wurde 1881 erbaut und 1903 umgebaut. Im Laufe des 20. Jahrhunderts waren hier viele grosse Symphonieorchester und bekannte Dirigenten zu Gast. In den späten 1960er-Jahren traten dort Jazz-, Blues- und Rockmusiker auf. 1967 wurde das Casino zum Veranstaltungsort des Montreux Jazz Festival, das vom Musikveranstalter Claude Nobs ins Leben gerufen wurde. Das dreitägige Festival fand jährlich dort statt und präsentierte Künstler wie Keith Jarrett, Jack DeJohnette, Bill Evans, Nina Simone, Jan Garbarek, Etta James und Ella Fitzgerald. Ursprünglich traten dort fast ausschliesslich Jazzmusiker auf, in den 1970er-Jahren begannen jedoch auch Blues-, Soul- und Rockmusiker wie Black Sabbath, Pink Floyd und Deep Purple aufzutreten.

Es würde ein bitterer Nebengeschmack entstehen, wenn Zürich favorisiert würde. Schon nach dem Sieg von Nemo gab es in den Medien Spekulationen, wer den Abend präsentieren soll. Kein einziger Name aus dem Tessin oder der Westschweiz wurde genannt. Wir haben eine Chance, uns Europa und der Welt mit hohem Profil zu zeigen, auch wenn dieses musikalische Spektakel nicht auf höchstem Niveau ist und dazu noch ein Stelldichein politischer Wirrköpfe geworden ist.

Montreux aber wäre Symbol, wäre Rückblick und Ausblick. Montreux würde eine grosse musikalische Geschichte in dieser Stadt in Erinnerung rufen und ehren. Das ist die Schweiz: Hinwendung zum Besten, nicht Gigantismus ohne Sinn.



Pierre Rothschild ist freier Medienunternehmer in Zürich in den Bereichen Filmproduktion und Presse.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

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