Am Anfang steht eine ziemlich erfolgreiche TV-Serie. Mit «L'ultim Rumantsch» hat das rätoromanische Fernsehen einen Quotenhit gelandet. In der Serie geht es um ein mächtiges Verlagshaus in Graubünden. Der alte Patron stirbt, seine Kinder kämpfen um die Zukunft und die Ausrichtung der Zeitung. Am 12. November feiert die zweite und letzte Staffel der dramatischen Serie Premiere.
Es braucht nicht sehr viel Fantasie, um die realen Vorbilder für die Serie zu erkennen: In Chur leiten die Kinder von Patron Hanspeter Lebrument das Medienhaus Somedia. Wesentliche Teile der TV-Serie wurden dabei sogar an den «Originalschauplätzen» im Medienhaus der Somedia gedreht.
Während die fiktive Serie mit der zweiten Staffel ein Ende findet, ist die Entwicklung in der Realität noch offen: Schafft der Verlag die digitale Transformation? Wie verhalten sich die Kinder des Patrons? Was sind die Sorgen und Nöte der Leserschaft in Graubünden, Glarus und St. Gallen?
Offenbar hat man sich diese Fragen auch beim RTR gestellt. Ein halbes Jahr lang sind zwei Journalistinnen im Medienhaus ein- und ausgegangen. Sie haben die Familie Lebrument begleitet, aber auch Joachim Braun und Nikola Nording, die aus Deutschland kommen und die digitale Transformation durchziehen sollen.
Die Premiere des 50-minütigen Dokumentarfilms findet am Mittwoch in Chur statt. Im November wird der Film dann auch auf Deutsch im TV ausgestrahlt. Nicht nur wir im Churer Medienhaus warten gespannt, wie die Journalistinnen Stefanie Hablützel und Paula Nay den Kampf des Verlagshauses darstellen: Wird es eine Skizze des Untergangs der freien Meinungsbildung in den Alpentälern? Oder doch ein hoffnungsvolles Stück darüber, wie auch Lokalmedien die Transformation überstehen können?
Das Schicksal des Lokaljournalismus sollte alle interessieren: Nirgends ist der Journalismus so nah bei den Problemen der Menschen, nirgends sonst ist seine Wirkung für eine informierte und mündige Bevölkerung besser sichtbar.
Ein mahnendes Beispiel sind nicht erst seit Donald Trump die USA: Das Phänomen der Nachrichtenwüsten bezeichnet Orte und ganze Landstriche, in denen die Bevölkerung keinen Zugang mehr zu unabhängiger Information hat. Das ist für die Forschung interessant. Sie kann an diesen Beispielen beweisen, dass eine Demokratie ohne Journalismus schlechter funktioniert. Die USA geben aber auch Hoffnung: Im Jahr 2024 hat die Onlinelokalzeitung «Lookout Santa Cruz» den Pulitzer-Preis gewonnen. Das kleine Team hat es mit einer konsequenten Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Leserschaft geschafft, aus einer Nachrichtenwüste eine blühende Oase zu machen. Die Journalistinnen und Journalisten sind physisch mitten im Ort präsent und bearbeiten all ihre Themen im Hinblick auf die Interessen der Leserinnen und Leser.
Am auffälligsten ist aber die Erweiterung ihrer Sichtweise, was Journalismus denn zu sein habe: Für die kalifornischen Journalisten um Ken Doctor geht es dabei nicht mehr nur darum, einen Text zu schreiben und auf einer Plattform zu veröffentlichen. Sie denken den Beruf von der Wirkung her, nämlich eine informierte und politisch mündige Öffentlichkeit zu schaffen. Darum ist auch das Podiumsgespräch Journalismus und Community-Building nicht nur ein Thema für den Social Media Manager.
Ob Lookout Santa Cruz sich langfristig finanzieren kann und ob die Somedia einen Weg findet, auf dem Land eine digitale Transformation zum Erfolg zu führen, kann man noch nicht sagen. Trotzdem lohnt es sich für alle Journalistinnen und Journalisten, genau hinzuschauen. Denn was hier auf kleiner Ebene ausprobiert wird, sind Rezepte, die auch im Grossen die Welt (oder mindestens den Qualitätsjournalismus) retten können.
Sebastian Dürst ist Vorstandsmitglied des Vereins Qualität im Journalismus (QuaJou) und Redaktionsleiter der Glarner Nachrichten (Somedia). Dieser Beitrag ist zuerst im monatlichen QuaJou-Newsletter erschienen.
Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.




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Rettet der Lokalteil die Welt?