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"Schweizer des Jahres": Medium Fernsehen schlägt sich selbst

Die Szene hatte Symbolkraft: Kaum wurden die beiden couragierten Haiti-Helfer, die Krankenschwester Marianne Kaufmann und der Arzt Rolf Maibach, am vergangenen Samstagabend zu den neuen "Schweizer des Jahres" gekürt, preschten sie im Eilstschritt von der Bühne des Zürcher Hallenstadions. Kein telegenes Lächeln, kein ausgelassenes Winken, nur weg und davon. Erst als sie Moderatorin Sandra Studer, der eigentliche Star des Abends, zurückbeorderte, kehrten sie in das Glamourfenster zurück und machten sich für das obligate Gruppenfoto parat. Nicht Strahlefrau Pascale Bruderer, der Überflieger Simon Ammann oder die beiden Tunnelbauer Ogi und Leuenberger "implanierten" sich den Weg zum begehrten Titel,  sondern mit Marianne Kaufmann und Rolf Maibach zwei bislang völlig unbekannte Persönlichkeiten. Im Gegensatz zu Kinderarzt Beat Richner, Entwicklungshelferin und Bestsellerautorin Lotti Latrous oder Herzchirurg René Prêtre, welche zuvor den Titel gewannen, weiss das breite Publikum von den neuen "Schweizer des Jahres" praktisch nichts. Aus welchem Kanton kommen sie? Was haben sie vorher getan? Einziges Indiz für ihren engagierten Einsatz: die herzzerreissenden Bilder, die sie in der Erdbenbenhölle Haitis zeigten. Welch krasser Gegensatz zum cupligeschwängerten Hallenstadion, welches sich einmal im Jahr als Kleinhollywood am Leutschenbach gebärdet. Doch das Medium Fernsehen hatte sich am vergangenen Samstag selbst geschlagen: Die Macht der Bilder krönte schliesslich den "Schweizer des Jahres". Wenn man so will, ist der Dokumentarfilmer Patrick Schellenberg, welcher die beiden couragierten und sympathischen Helfer im Frühjahr in Haiti aufsuchte und bei der Arbeit filmte, der heimliche Königsmacher. Gegen dessen Aufwand hatten selbst ein Gotthardtunnel, ein Schwingerkönig und die sich in den Armen liegenden Bundesräte keine Chance. Irgendwie ist dies tröstlich. Beim anschliessenden Dinner war man dann wieder unter sich. Die beiden Preisträger waren unter all den Missen und Fernsehgrössen nicht zu sehen.
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