In Zeiten, in denen künstliche Intelligenz binnen Sekunden generiert, was früher Tage oder Wochen gedauert hat, stellt sich zudem eine weitere Frage: Wirkt sich dies auf die Qualität der Ideen – und damit auf ihren Wert – aus?
Die Schwierigkeit, den Wert einer Idee zu erkennen
Der Wert einer Idee zeigt sich selten im Moment ihres Entstehens. Oft wird erst in der Rückschau klar, dass der Funke von damals eine Revolution ausgelöst hat – oder im Nichts verglühte, weil Relevanz, Voraussetzungen oder schlicht der Zeitpunkt nicht gestimmt haben. Schon Victor Hugo schrieb: «Keine Macht der Erde kann eine Idee aufhalten, deren Zeit gekommen ist.» Doch wann ist ihre Zeit? Und wie erkennen wir sie?
Viele bahnbrechende Ideen wurden anfangs belächelt: Die Kreditkarte galt in den 1950er-Jahren als absurd – «Wer vertraut schon einem Stück Plastik?» Airbnb wurde von Investoren als unrealistische Studentenidee abgetan. Netflix bot Blockbuster im Jahr 2000 die Zusammenarbeit an – sie lehnten ab. Der Wert einer Idee hängt also nicht nur von ihrer Originalität ab, sondern auch von Timing, Kontext und der Fähigkeit, den Wert zu erkennen und die Idee umzusetzen.
Wenn Einfachheit ihren wahren Wert zeigt
Viele Kreative kennen den Satz: «Da hätten wir auch selbst draufkommen können.» Er klingt harmlos – ist aber Gift für die Wertschätzung kreativer Arbeit. Denn gerade hinter einer vermeintlich «einfachen» Idee stecken oft ein langer Suchprozess, profunde Erfahrung und menschliche Intuition. Oft sind es jene Ideen, die so selbstverständlich wirken, dass man sich fragt, warum sie nicht schon längst jemand umgesetzt hat.
Ein Beispiel dafür ist Ikea ThisAbles – eine Initiative, die 2019 in Israel entstand. Das Konzept war verblüffend einfach: Ikea entwickelte 3D-druckbare Zubehörteile, mit denen bestehende Möbel für Menschen mit körperlichen Einschränkungen besser nutzbar werden – etwa verlängerte Griffe, Lichtschalteraufsätze oder Tischbeinverstärkungen. Kostenlos, open source, für alle verfügbar. Diese Idee veränderte die Perspektive auf Design: Statt neue Produkte zu schaffen, machte sie bestehende inklusiver.
In einem ganz anderen Zusammenhang zeigt auch Digitec Galaxus, dass Einfachheit ein Erfolgsfaktor sein kann. Die Werbung des Onlinehändlers besteht aus authentischen, ehrlichen, nicht selten sogar negativen Kundenbewertungen. Kein künstlicher Schein – sondern eine gesunde Portion Ironie und ein Gespür für den Zeitgeist. Die Kampagne verwandelt Authentizität in Markenwert und schafft Vertrauen.
Beide Beispiele zeigen, dass die wertvollsten Ideen selten die lautesten sind. Ihr Wert liegt nicht in ihrem Budget, sondern in ihrer Relevanz und ihrer Wirkung. Und doch werden viele kreative Ideen unter Wert verkauft – weil ihre scheinbare Leichtigkeit den Aufwand unsichtbar macht. In einer Branche, die primär auf Outputs schaut, wird der Prozess selten belohnt, obwohl er den wahren Wert schafft.
Gut Ding will Weile haben
Manche Unternehmer schaffen es, den Wert ihrer Ideen sichtbar zu machen – weil sie Geduld, Ausdauer und Vertrauen in die eigene Intuition haben. James Dyson arbeitete 15 Jahre an seinem ersten beutellosen Staubsauger und präsentierte über 5000 Prototypen. Heute ist sein Name Synonym für technische Eleganz – und für die Hartnäckigkeit, einer Idee ihren wahren Wert zu geben.
Auch Steve Jobs zeigte, dass der wahre Wert einer Idee Zeit braucht, um sich zu entfalten. Hinter der ikonischen Einfachheit von Apple-Produkten steckte jahrzehntelanges Feintuning: unzählige Iterationen, intuitive Entscheidungen und das ständige Ringen um das, was Menschen wirklich als relevant empfinden. Die Fähigkeit, das Unsichtbare zu spüren – das, von dem Nutzer noch gar nicht wissen, dass sie es wollen – machte Apple nicht nur erfolgreich, sondern auch emotional begehrenswert. Das war keine Magie, sondern Intuition, Empathie und ein tiefes Verständnis dafür, wie Menschen denken und fühlen. Genau das unterscheidet menschliche Kreativität von maschineller Reproduktion – und führt uns zum nächsten Punkt.
KI und die Frage nach dem «echten» Wert
In einer Zeit, in der künstliche Intelligenz Texte, Bilder und Konzepte generiert, wird der Wert menschlicher Ideen neu verhandelt. Denn KI kann vieles – aber keine Intention und keine Intuition. Eine Idee, die von Menschen kommt, ist mehr als ein Algorithmus aus Datenpunkten: Sie ist Ausdruck von Haltung, Mut, Empathie und Bauchgefühl. KI kann generieren, aber nur unzureichend erkennen, warum eine Idee wirkt oder was sie in Menschen auslöst.
Darum liegt der Wert kreativer Arbeit künftig nicht in der Masse an Ideen – sondern in der Fähigkeit, ihre Bedeutung zu erkennen, ihre Wirkung zu antizipieren und sie in einen kulturellen Kontext zu stellen.
So werden Ideen zu billig verkauft
Wertvolle Ideen sind selten kompliziert – aber immer relevant. Eine gute Idee schöpft ihren Wert aus der Wirkung, die sie entfaltet – emotional, kulturell oder ökonomisch. Ideen werden zu billig verkauft, wenn sie ihren Impact nicht selbstbewusst vertreten, und sie scheitern, wenn sie nicht relevant oder an der Realität vorbeigedacht sind. Menschliche Kreativität bleibt unschlagbar, weil sie auf Intuition, Empathie und Bedeutung beruht.
Eine Kreativagentur sollte sich deshalb als Übersetzer zwischen Inspiration und Wertschöpfung verstehen. Deren Aufgabe ist es, nicht nur Ideen zu entwickeln, sondern ihren strategischen und emotionalen Impact und damit ihren Wert sichtbar zu machen. Denn die beste Idee ist nicht die lauteste – sondern die, die bleibt.
Philippe Knupp ist Director bei der Zürcher Kreativagentur dear creative und berät Unternehmen bei kreativen Herausforderungen in den Bereichen Branding, Werbung und Kommunikation.
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27.10.2025 10:06 Uhr




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Was ist eine Idee wert?