Es ist überhaupt nicht so, dass die Werbung trivialer wird, wie es in einem Artikel in der SonntagsZeitung kürzlich hiess. Auch früher gab es höchstens einen TV-Spot pro Werbeblock, der so lustig war, dass man sich am Stammtisch darüber unterhalten hat. So verhält es sich aber mit jeglichen kreativen Zeugnissen: Es gibt nur den einen Sommerhit, einen Nummer-1-Bestseller je Genre, einen Oscarfilm des Jahres. Gerade von der Werbung zu erwarten, dass 90 Prozent gut sein sollen, ist vermessen.
Ich verstehe aber, dass der Eindruck entstanden ist, man sähe nur noch schlechte Werbung. Das liegt an der massiven Zunahme an Kanälen. Über das Gute, das nach wie vor da ist, stolpert man eher zufällig. So kann nicht wie einst ein kollektiver Schulterschluss entstehen, um einen Spot zu feiern, da jede Zielgruppe etwas anderes in einem anderen Kanal wahrnimmt.
Wichtig wäre, dass dieses wenige Gute nicht verschwindet. Daran arbeitet eine ganze Branche fieberhaft. Aktuell kämpft sie in der Tat um ihre Kreativhoheit, nämlich diejenige zu sein, die das Geniale liefern kann. Gerade mit den technologischen Revolutionen (Stichwort KI) glaubt ja so ziemlich jeder Mensch, er oder sie könne das auch. Dabei darf Werbung nicht mit Reklame verwechselt werden. Ein verkalktes Sieb am Wasserhahn können auch Sie wechseln. Aber für einen Wasserrohrbruch rufen Sie selbstverständlich den Klempner.
Was zweifelsohne stimmt: Gute Ideen durchzusetzen, wird schwieriger. Heute hat man das Gefühl, dass sich alle in alle Richtungen absichern wollen. Aber es braucht eine gewisse Nonchalance und Mut, um auf etwas zu setzen, was noch nie dagewesen ist. Deswegen umso mehr die Bitte an die Unternehmer, doch uns Experten und Expertinnen wieder mehr zu vertrauen, auf unsere Intuition zu hören, weil wir diesen Beruf schon lange mit Leidenschaft und Erfolg ausüben. Dies nicht als Selbstzweck, sondern um den Unternehmen tatsächlich zu helfen. Das belegen aktuell übrigens Zahlen einer McKinsey-Studie: 49 Prozent des Umsatzanstiegs durch Werbung lassen sich auf die Qualität der Inhalte zurückführen. Zudem erzielt Werbung, die durch hohe kreative Qualität besticht, einen viermal höheren Return on Investment.
Ich kann den Wunsch nach Sicherheit aber verstehen, also dass ein Kunde nicht nur irgendeiner Werbeidee zustimmt, weil der Bauch sagt, die sei toll, sondern sie auf etwas Belastbares abstützen möchte. An dem Punkt sehe ich die einzige grosse Veränderung zu früher, die vorgenommen werden muss: das noch viel stärkere Ineinandergreifen von Strategie und kreativer Kommunikation. Weil Produkte und Dienstleistungen extrem austauschbar geworden sind, müssen wir uns umso mehr strategisch damit befassen, nicht nur Werbe- sondern Markenstrategie zu betreiben, die wirklich aus der DNA entsteht. So wird sich die gute Werbung von heute festsetzen. Und in Zukunft zitiert und gefeiert werden.
Thomas Wildberger ist ADC-Präsident und Partner der internationalen Beratungsagentur Prophet. Er war Kreativchef und CEO von Publicis und Werber des Jahres.
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Werbung ist nicht trivialer geworden