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Wortwitz in der Werbefalle

Derzeit begegnet man in Schweizer Städten zwei Plakatkampagnen, deren Headlines das gleiche rhetorische Mittel nutzen: den Kalauer. Uber Eats fragt auf knallgrünem Grund: «Hunger! Was soll ich thun?» – ein klarer Bezug auf die Lokalität Thun; die Sujets werden regional in grosser Zahl variiert. Brack wiederum zeigt beispielsweise einen Mann, der ein Kärtchen mit Herz ausdruckt, und titelt: «Prints Charming». Auch diese Kampagne existiert in zahlreichen Varianten. Beide Plakatserien setzen auf Wortspielerei – doch der Unterschied in der Wirkung frappiert.

Warum Uber funktioniert

Der Uber-Witz ist simpel: Wer in Thun wohnt und Hunger hat, wird durch den homonymen Ortsnamen in eine doppelte Lesart gezogen. Der Kalauer bezieht sich direkt auf den geografischen Kontext, ist flach genug, um sofort verstanden zu werden – und deshalb zugänglich.

Die Komik ergibt sich aus der überraschenden Verortung eines banalen menschlichen Zustands: Hunger. Ob die erhöhte Aufmerksamkeit die Mehrkosten für individuell produzierte Plakate und gezielte Distribution rechtfertigt, sei dahingestellt. Doch der lokale Bezug zündet.

Semantisch gefordert

Bei den Plakaten der Brack-Kampagne ist der Zugang weniger direkt. Statt Lokalbezug steht ein komplexer Dreischritt im Zentrum:

  • Den Kalauer erkennen («Prints Charming» als Anspielung auf «Prince Charming», also den Traumschwiegersohn im Bild)

  • Das Bild interpretieren (der Schwiegersohn druckt ein herziges Kärtchen)

  • Den Zusammenhang zum Absender erschliessen (Brack.ch verkauft Drucker)


In einer farblich abgesetzten Subline verweist Brack mit einem weiteren Wortspiel auf konkrete Deals in der jeweils beworbenen Produktkategorie. All das erfordert nicht nur Aufmerksamkeit, sondern aktive Denkleistung. Kreativchef Dennis Lück berichtet auf LinkedIn derweil von 1000 produzierten Assets (früher: Sujets) in drei Monaten.

Die Visuals wurden mittels KI generiert, die Wortspiele stammen aus menschlicher Feder. Und ja: Der Content funktioniert sicherlich hervorragend in den digitalen Kanälen der Kampagne. In der Out-of-Home-Version jedoch droht er im urbanen Grundrauschen unterzugehen – ganz besonders, weil die Sujets zahlreich sind und somit nicht, pardon, penetriert werden.

ADHS, Wortspiele und kreative Selbstüberschätzung

Als neurodivergenter Mensch mit ADHS weiss ich: Wir lieben Wortspiele. Unser ungerichtet aufmerksames Gehirn springt auf semantische Mehrdeutigkeit an – deshalb sind wir in der Kommunikationsbranche überrepräsentiert. Doch gerade weil uns Sprachwitz Freude macht, neigen wir dazu, die Allgemeinverständlichkeit unserer Pointen zu überschätzen. Was uns wie ein smarter Twist erscheint, bleibt für grosse Teile des Publikums schlicht unklar – erst recht, wenn die Wortspiele aus einer Fremdsprache stammen oder Sprachen vermischen. Dennis Lück schreibt: «In den Kommentarspalten prompten User:innen mittlerweile schon ihre eigenen Motive. […] Ist das nicht irre?» Ja, das ist es. Und es zeigt, wie stark die Kampagne in ihrer digitalen Ausprägung resoniert. Dennoch bleiben die Plakate im Stadtraum erklärungsbedürftig.

Zwischen Raffinesse und Reichweite

Kalauer funktionieren nur, wenn sie ohne Anleitung zünden. Wer Kommunikationslast auf das Publikum überträgt, riskiert Streuverlust. Uber gelingt das Kunststück der Lokalisierung, Brack spielt auf vielen Bühnen gleichzeitig. Doch wer seine Kommunikation für breite Wirkung aufsetzt, sollte sich bewusst sein: Sprachliche Raffinesse ist kein Skalierungsfaktor – sie ist ein Nischenangebot. Und sollte als solches behandelt werden.



Hans Georg Hildebrandt ist Geschäftsführer der von ihm gegründeten Getränkefirma Gents. Zuvor war er als Texter und Redaktor tätig.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

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KOMMENTARE

Stephan Feige
14.05.2025 06:51 Uhr
Stimmt alles. Habe ich vor vielen Jahren schon einmal fundiert an Hand vieler Slogans an der HSG untersucht, für interessierte siehe https://www.slogans.de/magazin/doppeldeutige-werbeslogans-19
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